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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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fiel Mildred in Ohnmacht.

    Als sie zu sich kam, lag sie rücklings auf der Straße. Im Aufblicken sah sie in die Gesichter bestürzter Passanten, die wie hirnlose Rinder auf sie niederglotzten. Vor ihr kniete der Polizist und schlug sie im Wechsel auf beide Wangen. Wütend stieß sie seine Hand beiseite. Ihre Bewusstlosigkeit konnte nicht länger als ein paar Augenblicke gedauert haben, und sie war sogleich wieder in der Lage, scharf und klar zu denken. Auf ihrem Konto bei der Building Society lag alles Geld, das sie besaß. Auch die Beträge, die mehrere Gäste im Voraus für ihren Aufenthalt bezahlt hatten, während die Übrigen erst zahlen würden, wenn ihr Urlaub beendet war. Das bedeutete, dass sie eine gesamte Saison über ein Luxushotel führen musste, ohne einen Penny dafür in der Kasse zu haben. Es bedeutete, dass sie ihr Hotel verlor. Man würde sie vor Gericht zerren. Jahrelang hatte sie alles getan, um einen Skandal auszulöschen, nur um jetzt vor einem neuen zu stehen, der die Zukunft ihrer Tochter vernichten würde.
    Augenblick, mahnte sie sich selbst. Mit Panik kommst du nicht weiter. Natürlich konnte ihr die Building Society ihr Geld nicht ewig vorenthalten, es war schließlich ihr Eigentum, und es würde nur ein paar Tage dauern, bis dieser Wirrwarr sich auflöste. Wichtig war, dass sie das Geld für den Erpresser auftrieb, alles andere würde sich finden. Noch einmal stieß sie die Hand des Polizisten weg und rappelte sich auf. »Lassen Sie Ihre Finger von mir.«
    »Ein Dankeschön wär angebrachter, Lady«, brummte der Mann. »Aber euch Pinkeln wird das Naseheben noch vergehen. Mein Kollege hat sich die Mühe gemacht, Ihren Gaul einzufangen. Vielleicht bedanken Sie sich ja wenigstens bei dem.«
    Er wies auf die andere Straßenseite, wo ein weiterer Uniformierter mit ihrem Wallach stand. Hastig murmelte Mildred einen Dank und eilte hinüber, um das Pferd zu holen. Ihre Beine zitterten ein wenig, doch ansonsten fühlte sie sich stark genug, um zu handeln. Schließlich war diese weder die erste noch die schwerste Krise, die sie gemeistert hatte. Genug Geld für den Lieferanten hatte sie daheim in ihrem Schreibtisch, es war allein die Summe für den Erpresser, die sie herbeischaffen musste.
    Während sie das Pferd aus der überfüllten Straße führte, schoss ihr eine Frage durch den Kopf, die sie sich längst hätte stellen müssen: Wer war der Erpresser? Wer trieb sich in einer feuchtkalten Dezembernacht hinter dem Deichhügel herum, beobachtete etwas, das er für ein Verbrechen hielt, und wartete vier Jahre ab, ehe er aus seiner Beobachtung Nutzen zog? Der Uhrwerktakt ihres Herzens beschleunigte sich. Es gab nur einen Menschen, auf den all dies passte.
    Flüchtig glaubte sie wieder im Korridor des Theaters zu stehen und in zwei hasserfüllte bierbraune Augen zu starren. Deshalb hatte er so lange gewartet. Er hatte nicht vorgehabt, sein Wissen auszunutzen, vielleicht war es ihm zu riskant gewesen, doch bei jener Begegnung war sein Hass auf sie neu aufgeflammt. Warum? Weil er sie mit Hyperion sah und glaubte, dass sie glücklich war? Auf jeden Fall hatte er an diesem Abend beschlossen, sie mit seinen Briefen zu zerstören. Es gab keinen Zweifel, der Erpresser war Victor März.
    Sie würde ihn zur Rede stellen. Jetzt gleich würde sie in sein Drecksloch von Pension reiten und ihm ins Gesicht schleudern, was sie über ihn wusste. Wut schüttelte ihren Körper, wenn sie an die Tat des Mannes dachte. Und ich habe dir vertraut! Ich habe geglaubt, du seist der einzige Mensch, dem ich vertrauen kann!
    Der Gestank der Gewürzinsel stieg ihr bereits in die Nase, als sie innehielt und den Wallach zügelte. Was war, wenn sie März nicht antraf, wenn er in zwei Tagen das Geld nicht erhielt und wahrhaftig »an geeigneter Stelle« verriet, was er wusste? Sich selbst würde er damit ebenso in den Abgrund reißen wie Mildred, aber einem Menschen, der vom Hass verblendet war wie er, mochte das gleichgültig sein. So hart es sie ankam, wenn sie nicht wollte, dass alles über ihr zusammenbrach, würde sie Victor noch ein letztes Mal bezahlen müssen.
    Sie würde dem Geld einen Brief beilegen, aus dem hervorging, dass sie ihn entlarvt hatte. Dass dies ihre letzte Zahlung war und dass er sich hüten sollte, sie noch einmal zu behelligen. Ein Mann wie er ließ sich am ehesten durch Drohungen einschüchtern, denn das war die Sprache, die er selbst sprach. Womit sie ihm drohen konnte, blieb fraglich, aber wenn sie ihn

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