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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Othrys nicht kennen?«
    Wenn ich erst König bin, dilly dilly, wirst du meine Königin.
    »Darf ich die beiden Damen auf ein Gläschen Champagner an die Bar bitten?« Charmant und mit tiefem Blick in ihre Augen bot er Mildred seinen Arm. Warum, durchfuhr es sie, warum konnte Hyperion nicht einen Tag lang so mit mir sein? Für einen Herzschlag gab sie sich hin, dann zwang sie sich zu Beherrschung und einem mütterlichen Lächeln. »O nein, mein lieber Sergeant. Wo die Jugend sich vergnügt, kann das Alter nichts anderes sein als ein Störenfried.«
    »Das Alter vielleicht, aber nicht Sie, Mrs Weaver.«
    Sein Blick unter goldenen Wimpern ließ den ihren nicht los. Sie faltete ihren Fächer und schlug ihm weich auf die Wange. »Jetzt ist es genug, Sie Charmeur. Vernachlässigen Sie über der Mutter die Tochter nicht.« Aufmunternd lächelte sie Phoebe zu und beschwor sie zugleich: Lass dir um Himmels willen dieses Juwel nicht entgehen. Halt ihn nur fest, für den Rest sorge ich. Dann wirbelte sie auf dem Absatz herum und ging, um Erkundigungen über Sergeant Granville Redknapp einzuziehen. Schon jetzt war sie sicher, dass sie zu ihrer Zufriedenheit ausfallen würden.

    »Ist dein Vater daheim, Charles?«
    Kaum merklich schüttelte der Junge den Kopf. Er hatte ihr einen Brief mitgebracht, den sein Lehrer geschrieben hatte. Den zog er jetzt, da er merkte, dass sie kein Interesse daran zeigte, verlegen wieder weg. Sofort schmerzte Sukie das Herz. Einen besseren Sohn als Charles hätte keine Mutter, nicht einmal die Königin, sich wünschen können. Dass sie ihn missachtete, hatte er wahrlich nicht verdient.
    »Soll ich gehen und den Vater suchen?«, fragte er.
    Jetzt war es an Sukie, den Kopf zu schütteln, was nahezu all ihre Kraft kostete. »Er wird eben zu arbeiten haben. Und ich habe ja dich bei mir. Sag, was steht in diesem Brief, was schreibt dein Lehrer?«
    Charles schluckte. »Er empfiehlt mich zum Studium«, antwortete er mit gepresster Stimme. »Zur Universität. Ich hab das Zeug dazu, sagt er.«
    Um höher zu schlagen, war Sukies Herz bereits zu schwach. Die ewigen Schmerzen, das Würgen, Erbrechen und Gallespucken hatten sie von innen ausgehöhlt. Zitternd tastete ihre Hand über die Bettdecke und umfasste das Gelenk des Sohnes. »Charles«, flüsterte sie, »mein kleiner Charles.« Spürte er, welche Freude er ihr bereitet hatte, obgleich ihrer Freude alle Kraft fehlte? Sie war ein dummes Mädchen gewesen, das wenig nachgedacht und sein Leben verpfuscht hatte, aber sie hatte dieses eine richtig gemacht. Sie hatte einen wundervollen Sohn geboren und ihn mit aller Hingabe aufgezogen. Dass sein Vater ihn höchstens als Beschützer für seine angebetete Hedwig wahrnahm, dass ihm der Makel der unehelichen Geburt anhaftete und der Vater ihm nach den neuen Gesetzen nicht einmal ein Erbteil zahlen musste, all das hatte Sukie nicht von ihm nehmen können. Aber sie war ihm eine gute Mutter gewesen, und jeder Tag mit dem Sohn hatte sie dafür belohnt.
    Das ihre war ein trauriges, kleines Leben voll vergeblicher Liebe gewesen, und doch hätte sie es um Charles’ willen gegen kein anderes getauscht. Sie drückte sein Gelenk. Siebzehn Jahre lang hatte sie ihn wachsen sehen dürfen, und bevor sie starb, schenkte er ihr noch diesen letzten Triumph. Messerscharf fuhr ihr die Erkenntnis in den ausgebrannten Leib: Sie durfte nicht sterben! Nicht ehe sie Victor gesagt hatte, dass er ihr dieses schuldig war, dass er diese Vaterpflicht erfüllen und den Jungen auf die Universität schicken musste. Sie krümmte sich und schlang die Arme um den Leib. Der Schmerz war überwältigend. Kein Tier hätte man auf solche Weise leiden lassen, nur beim Menschen hielt man eisern daran fest, dass jeder elende Rest von Leben unantastbar sei. »Charles«, flüsterte Sukie unter Qualen, »du musst mir doch den Vater suchen. Und schnell!«
    Durch die Schleier, die der Schmerz ihr vor die Augen trieb, sah Sukie ihren Jungen zögern. Etwas in ihr selbst zögerte, wollte noch einmal die Hand ausstrecken und ihn festhalten. Wenn sie ihn jetzt fortschickte, mochte sie ohne ihn sterben, die letzte Möglichkeit vergeuden, ihn bei sich zu spüren, wie sie ihn als Kind gespürt hatte, wie sie ihn zu sich in ihr Bett geholt hatte, sooft die Einsamkeit unerträglich wurde. Hielt sie ihn fest, so konnte sie noch einmal, wenn auch nur im Geist, ihre kleinen Lieder mit ihm singen, noch einmal Kosenamen in sein Ohr wispern, ihm noch einmal sagen: Mein Söhnchen,

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