Die Mondrose
dort erledigen.«
»Auf was für einem Frühlingsball?« Natürlich wusste Hector nur allzu gut, worum es sich handelte, die ganze Stadt sprach ja von nichts anderem. Die formidable Mildred gab einen Ball für ihre Tochter Phoebe. Je farbloser das Mädchen, desto aufwendiger die Maßnahmen, um es an den Mann zu bringen. Hector hätte über so viel Einfalt lächeln mögen, doch der Versuch dazu blieb ihm im Halse stecken. Die Frau, die sich seine Schwägerin nannte, hatte die Frechheit, jeden einzuladen, der in der Stadt einen Hosenknopf besaß, aber den eigenen Schwager zu übergehen.
Früher hätte die gute Gesellschaft von Portsmouth solchen Affront nicht geduldet. Aber wo war sie, die gute Gesellschaft von Portsmouth, wo gab es die denn noch? Sein Sohn hatte es vorgemacht, und mittlerweile war es offenbar salonfähig geworden, Hector Weaver zu düpieren. Und das, wo noch immer die lukrativsten Geschäfte zwischen Ballsaal und Rauchzimmer abgeschlossen wurden!
»Nun, in Mount Othrys«, hatte Ternan längst geantwortet, doch erst jetzt war Hector fähig, zu reagieren.
»Sie haben doch wohl nicht ernsthaft vor, sich dort sehen zu lassen?«
»Warum denn nicht?« Ternan schien verwundert. »Ich mache mir aus solchen Tanzvergnügen ja wenig, aber es gehört nun einmal zum guten Ton, und außerdem würde ich schon um meines Sohnes willen gehen.«
Dort also lag der Hase im Pfeffer! Abfällig betrachtete Hector noch einmal den jungen Andrew, der weder wirklich jung noch in der Lage war, das Herz eines Mädchens in Flammen zu setzen. Dazu braucht es einen Kerl wie meinen Horatio, eine Prise schwarze Verdorbenheit. Offenbar spekulierten Ternan und Mildred darauf, das Sauerbier Andrew und das Mauerblümchen Phoebe zu verbandeln. Wenn das gelang, wenn Mount Othrys sich mit diesem Giganten vereinte, hätte Mildred ihre Schäfchen im Trockenen. Aber es würde nicht gelingen, dafür würde Hector sorgen. Wozu war Portsmouth schließlich Garnisonsstadt, wozu liefen hier in Scharen Offiziersanwärter herum, die das Geld für ihre Patente verspielten und in ihren Uniformen viel mehr hermachten als Andrew Ternan? Auf einmal hatte Hector es mindestens so eilig, das Victoriana zu verlassen, wie seine Gastgeber ihn loswerden wollten.
Die Kommandantur der Marine gehörte zu seiner Kundschaft. Er hatte Kontakte dort, die bis in die Zeit des Holzhandels zurückreichten. Es würde nicht schwer sein, einen geeigneten Kandidaten ausfindig zu machen. Noch weniger schwer war es, den Mann auf Mildreds Ball einzuschleusen, und wenn er dazu seinen Schwager Lewis um Hilfe bitten musste. Auf der Fahrt nach Portsmouth arbeitete er seinen Plan aus. In ein, zwei Gesprächen hätte er seine Bombe bereitet und würde nur noch zu warten haben, bis sie zündete.
Zuvor wollte er noch etwas anderes tun. Dass er wieder einmal einen Brief schreiben würde, war ihm bei den Ternans klargeworden, als er den Blick von Andrews dümmlichem Gesicht nicht hatte abwenden können. Wenn Ternans Dachterrasse erst anfing Mount Othrys Gäste abzuziehen, würde der Druck, der auf Mildred lastete, beträchtlich wachsen, und Hector hatte vor, dem noch eine Kleinigkeit hinzuzufügen. Mildred war vieles, aber eines war sie nicht, eine beherrschte Frau. Sobald sie sich in die Ecke gedrängt sah, würde sie eine Dummheit begehen, und er hätte ein wenig Genugtuung davon.
Die Gewürzinsel stank wie eh und je. Schalentiere, die im Hafenschlamm schwappten, Kadaver von Geschlachtetem und Ausscheidungen von Mensch und Tier vereinigten sich zu dem Aroma, das Hector nie reizlos gefunden hatte, weil es verriet, wie die sich zierende Welt wirklich war – hässlich, verkommen und gemein. Eine Brutstätte von Seuchen und Verbrechen. In London musste es noch schlimmer sein, denn es gab Londoner, die hierher in den Urlaub reisten. Eines Tages wollte Hector hinfahren, heimlich, ohne dass eine Seele etwas ahnte, und bei Nacht und Nebel durch das berüchtigte Whitechapel streifen. Das Sodom und Gomorrha der modernen Welt, die Büchse der Pandora, der alle Hoffnung entflogen war.
An der Rezeption der Pension ließ er sich anmelden. Das appetitliche Mädchen, das März hier platziert hatte, war in die Jahre gekommen. Wie wir alle. Wo war das Gefühl der Jugend und der Spannkraft hin, das er vor kurzem noch verspürt hatte? Seine Kinder hatten es geraubt und mitgenommen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis März auftauchte. Hector hatte ihn eine Zeitlang nicht gesehen. Der Deutsche war auch
Weitere Kostenlose Bücher