Die Mondrose
mein Sonnenschein, ich hab dich so lieb.
»Ich mag dich nicht allein lassen, Mutter«, stammelte ihr Sohn, der so selten widersprach. »Es geht dir doch nicht gut.«
»Es geht mir schon besser«, krächzte Sukie. Sie musste ihn doch schicken! Er musste doch die Chance bekommen, ein studierter Mann zu werden und sein Glück zu finden. »Ich glaube, ich will ein wenig schlafen. Du hol mir den Vater. Bis bald, Charles.«
»Bis bald, Mutter.«
Noch einen zweifelnden Blick warf er ihr zu, dann ging er mit schleppenden Schritten. Als hätte ihr Leib sich mit letzter Not zusammengerissen, bis die Tür hinter ihrem Sohn ins Schloss fiel, brachen gleich darauf die Krämpfe wieder los. Als würden Sprengkörper in ihren Eingeweiden explodieren und sie in Fetzen reißen. Sukie wollte sich zur Kugel rollen, den Kopf in ihren Armen bergen, bis die Raserei des Schmerzes vorüber war, doch nicht einmal dazu besaß sie noch Stärke. Mit einem röchelnden Laut rann etwas aus ihrem Mund. Blut und Speichel. Dann sah sie nichts mehr, schmeckte auch nicht das Metall des Blutes, hörte es aber in ihren Ohren rauschen und spürte, wie ihr der Kopf ins Kissen sackte. Als würde er nicht mehr zu ihr gehören. Als wäre er nicht mehr von Nutzen.
Esther saß unendlich gern in dem kleinen Garten bei Lydia und Horatio und schwatzte über Gott und die Welt. So oft wie möglich ging sie nach der Arbeit dort vorbei, wenn Lydia aus der Schule kam. Nora gesellte sich still hinzu. Oft war auch Rebecca da, Lydias Jura studierende Kampfgenossin, die Esther auf der Hochzeit kennengelernt hatte. Lydias Mutter stellte ihnen einen Krug Limonade hin, und wenn Horatio aus Southampton kam, mixte er für alle ein Getränk mit Gin, frischen Erdbeeren und Gurkenscheiben, das köstlich schmeckte. Lydias zusammengewürfelter Haushalt war gewiss nicht einfach zu führen, häufig gerieten die aufbrausenden Temperamente aneinander, und doch hatte Esther nie ein Familienleben erfahren, das sie als harmonischer empfand.
Es wurde viel geredet in dem Haus hinter den Kastanien, erörtert, gestritten und gelacht. Esther würde die Abende bei der duftenden Magnolie vermissen. Weil Phoebe und Chastity so sehr gebettelt hatten, hatte sie ihre Abreise noch einmal verschoben, doch für Ende Juni endgültig eine Passage angezahlt. Jetzt war schon Mai. Sie hatte einen Überseekoffer gekauft und begonnen ihre Habseligkeiten auszusortieren und Fehlendes zu besorgen. Praktische Kleidung brauchte sie. Die von Mildred angeschafften Kleider taugten weder für die Reise noch für das Leben als Studentin. Esther wollte sie unter ihren Schwestern verteilen, aber Georgia winkte ab: »Wie viel von mir soll denn in die Wespentaille passen, Libellchen? Ein Arm?« Letzten Endes gab sie alle Kleider Phoebe, denn Chastity wären sie zu groß gewesen, aber Mildred warf sie aus Phoebes Schrank wieder hinaus und wetterte, ihre Tochter habe keine abgelegten Lumpen nötig.
An diesem Abend überreichte Lydia ihr ein aus grauer Wolle gefertigtes Kleidungsstück mit an den Ellbogen aufgenähten Lederflicken. Es sei einer von Horatios Jerseypullovern, erklärte sie, er werde Esther in der Kälte Kanadas warm halten. Horatio und Lydia trugen häufig Kleidung, die Esther nirgendwo zuvor gesehen hatte. So saß Lydia in einem von Horatios Hemden ohne Kragen und in seiner burgunderroten Weste da, und Horatio hatte sich einen Rock mit seidenen Revers machen lassen, dem die Schöße fehlten und der bequem und aufreizend zugleich wirkte. Man sah diesen beiden und ihrem Kreis an, dass sie Menschen eines neuen Zeitalters waren. Esther wollte werden wie sie. Unter Gelächter ließ sie sich von Rebecca in den Pullover helfen.
Als es dunkel wurde, rollte Horatio eine fast mannshohe, wie eine Konserve geformte Maschine in den Garten, befestigte einen Scheinwerfer, wie er im Krieg benutzt wurde, daran und setzte das Gerät, das leise schnarrte, in Betrieb. Im Nu war der kleine Hof überflutet von Licht. Die Versammelten johlten und klatschten, nur Lydias Mutter zeterte: »Nimm sofort dieses Ding weg, oder glaubst du, ich will in deinem Höllenfeuer aufgehen?«
Horatio lachte. »Solche Generatoren können wir im Prinzip schon seit fünfzig Jahren bauen. Und wenn wir es nicht bald im großen Stil tun, statt uns weiter über Formalitäten zu streiten, laufen die Amerikaner und die Deutschen uns damit davon.«
»Besser als dass einer wie du uns ganz Portsmouth in Brand setzt«, schimpfte die Mutter, und an ihrem
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