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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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denn so, wie du aussiehst, willst du dich ihm ja wohl kaum präsentieren. Los, wasch dir das Gesicht, beeil dich. Georgia, kannst du ihr beim Umkleiden helfen? Ich gebe dem Vater Bescheid, dass er sich mit dem jungen Herrn Zeit lassen soll.«
    Statt etwas zu sagen, begann Phoebe neuerlich zu heulen. Georgia klopfte ihr auf den Rücken, erhob sich und wandte sich Mildred zu. »Wie es aussieht, braucht Vater sich mit dem jungen Herrn keine Zeit zu lassen. Es scheint nämlich kein junger Herr zu kommen, andernfalls würde die Braut wohl kaum als Häuflein Elend auf dem Badezimmerboden hocken.«
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis Mildred ihren Töchtern entlockt hatte, was geschehen war. Phoebe hatte sich am Morgen noch einmal mit Granville treffen wollen, obwohl sie keine Erlaubnis dazu hatte. Granville war zum vereinbarten Zeitpunkt jedoch nicht erschienen.
    »Nun, es wird eben eine Verschiebung in seinem Dienstplan gegeben haben«, mutmaßte Mildred, um gegen eine nachtschwarze Ahnung anzukämpfen.
    »Das hat Phoebe auch gehofft«, brummte Georgia. »Aber gefunden hat sie ihn bei den Kasernen nicht.«
    »Du willst doch wohl nicht sagen, sie hat sich dazu erniedrigt, ihm hinterherzulaufen?« Vor ihr stiegen Bilder der jungen Mildred auf, die ins Spital rannte, um Hyperion zu suchen – Demütigungen, vor denen sie Phoebe hatte schützen wollen.
    »Ich will gar nichts sagen«, erwiderte Georgia. »Aber ich fürchte, ich muss.«
    Phoebe schluchzte laut auf. Ehe ihr der Kopf platzte, floh Mildred aus dem Raum und die Treppe hinunter, in der Hoffnung, Granville sei inzwischen eingetroffen. Beim ersten Schritt in den Gang verpuffte die Hoffnung zu Rauch. Hyperion und Esther standen noch immer in der Zimmertür und debattierten.
    »Wie geht es Phoebe?«, rief Esther, da ertönte im Durcheinander das rettende Läuten der Türglocke. Sofort war Mildred zur Stelle und riss die Tür weit auf.
    »Mein bester Sergeant Redknapp, wir hatten Sie allerdings früher erwartet. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige …« Im nächsten Augenblick war sie schon bereit, ihm alles zu vergeben – sein Gesicht war verborgen hinter dem größten Aufgebot weißer Rosen, das Mildred je gesehen hatte. »Aber nun herein mit Ihnen. Phoebes Vater erwartet Sie.«
    »Ich bitte um Entschuldigung, Madam«, stammelte eine Stimme hinter dem enormen Blumenstrauß. »Ich soll nur dieses Bukett ausliefern, für Miss Esther Weaver.«
    Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben beneidete Mildred die Frauen, denen die Kraft fehlte, auf ihren beiden Beinen stehen zu bleiben, und die in gnädige Ohnmacht sinken konnten. Mechanisch nahm sie dem Lieferjungen die Blumen ab, die sie in einem Arm kaum halten konnte. Auf der Karte, die zwischen den Blüten steckte, stand Esthers Name. Nicht der von Phoebe. Und der Absender hieß nicht Granville Redknapp. Die Rosen waren von Andrew Ternan.

    »Du hast meine Familie zerstört, du, du, du!« Mit einem Satz, den dem fetten Berg von Frau niemand zugetraut hätte, schoss Bernice auf den Schreibtisch zu, packte den Briefbeschwerer, eine Weltkugel aus Kristall, die einem Stück aus Mount Othrys nachgebildet war, und schleuderte ihn zu Boden. Das Klirren, mit dem das Kleinod zerschellte, gellte Hector in den Ohren. Sein Vater hatte sein Exemplar des Briefbeschwerers immer »die Welt auf meinem Schreibtisch« genannt. Er, Hector, hatte die Welt auf seinem Schreibtisch verloren.
    »Du hast meine Kinder aus dem Haus getrieben! Meinen klugen Sohn, dem du die Seele aus dem Leib geprügelt hast, und meine liebe Tochter, die du krank gemacht hast, krank, krank, krank!«
    Dass Bernice heulte und zeterte, war er gewohnt, aber jetzt schien sie vollends den Verstand zu verlieren. Im ganzen Haus hatte sie Bilder der Kinder aufgestellt, versehen mit dem schwarzen Trauerflor, den die Mütter von Gefallenen verwendeten. Außerdem hätte sie sich für ihren Ausbruch keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können. Hector kam von einer Unterredung mit Nettlewood. Der Alte, den er seit langem entlassen wollte, hatte selbst um seine Entlassung gebeten. »Was immer Sie sonst noch sind – Sie sind der Sohn von George Weaver, den ich bis an mein Ende hochachten werde. Zu erleben, wie sein Lebenswerk zugrunde ging, war hart genug. Ich möchte nicht noch erleben, wie Sie mich eines Tages bitten, Ihnen mein Gehalt zu stunden.«
    Er hätte dem verwitterten Eulengesicht gern entgegengeschleudert, wie zuwider ihm dessen betuliche Wohlanständigkeit war,

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