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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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als dreißig, und dass ihre Erscheinung ihn beeindruckte, entging ihr nicht. »Sie werden etwas für mich tun müssen«, erwiderte sie firm. »Nach dem Gesetz dürfen Sie den Verlobten meiner Tochter nämlich überhaupt nicht festhalten. Ich habe mich erkundigt. Inhaftierung von Schuldnern ist bereits seit 1869 unzulässig.«
    »Das stimmt nicht ganz«, wandte er zögerlich ein und zog einen Bogen aus der Mappe. »Ein Schuldner darf auch heute noch bis zu sechs Wochen inhaftiert werden, wenn das Gericht überzeugt ist, dass er über die Mittel, seine Schulden zu begleichen, verfügt.«
    »Aber der Verlobte meiner Tochter verfügt über keine Mittel!«, entfuhr es Mildred. Wer sollte es wissen, wenn nicht sie? Fieberhaft hatte sie in den vergangenen Tagen nach solchen Mitteln gesucht, doch jede Hoffnung war zerplatzt. Redknapps Familie hatte sich von ihm losgesagt und war nicht bereit, noch einen Penny für ihn springen zu lassen. Vorgesetzte, die als Bürgen hätten aushelfen können, winkten sämtlich ab. Allzu oft schon hatten sie guten Willen bewiesen und sich von vollmundigen Versprechen täuschen lassen.
    »Bei den von uns befragten Zeugen rühmte sich der Verhaftete der Reichtümer, in deren Besitz er durch seine Verlobte gelange«, stellte der Uniformierte fest. »Das Gericht muss davon ausgehen, dass er aus bösem Willen seinen Gläubigern Gelder vorenthält.«
    »Er hat gesagt, er kommt durch die Heirat mit meiner Tochter zu Geld?« Die Frage und das bedauernde Nicken, das er ihr zur Antwort gab, waren überflüssig. Mildred war nie naiv gewesen, auch wenn sie in einem Augenblick der Verblendung diesem Heiratsschwindler aufgesessen war. Dass Redknapp Phoebe nur benutzt hatte, war ihr klargeworden, sobald die Teile des hässlichen Bildes sich zusammenfügten. Und auch dass es jetzt zu spät war, um den Kerl zum Teufel zu schicken, dass sie ihn halten mussten, koste es, was es wolle, weil ihre vergötterte Tochter so dumm gewesen war, sich von diesem Tagedieb ein Kind anhängen zu lassen. Als sie Phoebe gefragt hatte, wie sie derart töricht hatte sein können, hatte diese geschluchzt: »Aber du hast doch gesagt, ich soll nett zu ihm sein und ihn mir nicht entwischen lassen.«
    Wie konnte ein Kind von ihr mit solcher Einfalt geschlagen sein? Alles Hadern war jedoch müßig. Wenn sie nicht wollte, dass Phoebe, das Liebste, was sie hatte, ihr Leben in Schande zubringen musste, brauchte sie all ihre Überzeugungskraft. »Falls das Geld sich tatsächlich aufbringen ließe«, begann sie lauernd, »wäre denn damit der Vorfall aus der Welt geschafft? Ich meine, es wäre für die Angehörigen ja kaum von Vorteil, sich um die Beschaffung der Summe zu bemühen, wenn Sergeant Redknapp hinterher in Unehren aus der Marine entlassen würde oder mit ähnlichen Schikanen rechnen müsste …«
    Der Beamte war keiner, der sich auf Reden um den heißen Brei einließ. »Wenn Sie die ausstehenden Beträge begleichen, ist, was uns betrifft, die Sache erledigt«, sagte er und schob ihr einen eng beschrifteten Bogen zu. »Ich habe Ihnen die Aufstellung schon mitgebracht. Was allerdings die Marine tut, steht auf einem anderen Blatt. Ich kenne mich ein bisschen aus, ich habe einen Bruder dort. Entlassen wird man ihn nicht, doch dass er es aus eigener Kraft zum Offizier bringt, ist unwahrscheinlich. Also muss seine Familie ihm das Patent eben kaufen – das ist ja gang und gäbe.«
    Mildred nickte tapfer. Die Summen auf der Liste verursachten ihr Übelkeit, doch sie hatte sich geschworen, mit dem Schlimmsten zu rechnen. »Darf ich die Aufstellung mitnehmen?«, fragte sie. »Ich komme morgen wieder. Mit dem Geld.«
    »Gern, Madam. Es wäre durchaus auch möglich, eine Begegnung mit dem Häftling zu arrangieren, wenn Sie es wünschen …«
    »Verschonen Sie mich«, versetzte Mildred, nicht länger um Beherrschung kämpfend. »Wir sehen uns morgen. Guten Tag.«
    Als sie in Mount Othrys ankam, verließ Esther gerade das Haus. Sie wolle zu Lydia, sagte sie, Horatio habe noch ein paar kanadische Adressen für sie, und damit sprang sie in Richtung Pferdebus davon. Von all den Mädchen taugt nur Daphnes Tochter etwas, durchfuhr es sie. An ihrer verzweifelten Liebe zu Phoebe vermochte das nicht zu rütteln. Bin ich mein Leben lang dazu verurteilt, Versager zu lieben?, fragte sie sich und verspürte den Drang zu weinen.
    Wie üblich hatte sie dazu jedoch keine Zeit. Auf ihrem Schreibtisch, von irgendwem ordentlich aufgestapelt, lag die Post des

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