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Die Mondscheinbaeckerin

Die Mondscheinbaeckerin

Titel: Die Mondscheinbaeckerin
Autoren: Sarah Addison Allen
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Auf sie hätte sie für die Aufmerksamkeit ihres Vaters gern verzichtet.
    Doch die blieb ihr versagt.
    Sie bekam mit, wie Beverly ihrem Vater riet, gar nicht auf Julia zu achten, sie würde über diese Phase hinwegkommen. Und natürlich hörte er auf Beverly.
    Dann fing sie in ihrer Unzufriedenheit und ihrem Selbsthass an, sich zu ritzen.
    Es begann in der Geschichtsstunde. Mr Horne schrieb gerade etwas an die Tafel; Julia saß ganz hinten im Raum, Dulcie Shelby ein paar Reihen vor ihr. Als Julia, die Kringel in ihr Schulheft malte, den Blick hob, sah sie, dass Dulcie mit einer ihrer Freundinnen flüsterte und etwas aus ihrer Tasche nahm. Wenig später rollte eine Dose Flohpulver den Gang entlang und blieb vor Julias Füßen liegen.
    Dulcie und ihre Freundinnen lachten, und Mr Horne drehte sich um und fragte, was so lustig sei, aber niemand antwortete. Julia hielt den Blick auf die Dose gerichtet.
    Als Mr Horne sich wieder der Tafel zuwandte, zog Julia den gespitzten Bleistift, den sie in der Hand hielt, mit Druck über ihren Unterarm. Zuerst war ihr gar nicht bewusst, was sie tat. Sie beobachtete nur mit einem merkwürdigen Gefühl der Befriedigung und Erleichterung, wie sich auf ihrer Haut Blutstropfen bildeten.
    Anfangs geschah es noch ungeplant, und sie verwendete, was sie gerade zur Hand hatte. Doch schon bald entwickelten sich daraus bewusste Aktionen mit Rasierklingen, die sie zu Hause unter der Matratze versteckte. Wenn sie sich damit selbst verletzte, empfand sie das als intensiv und dramatisch, als würde sie von dem gähnenden Abgrund des Nichts zurück ins Leben gerissen. Es verschaffte ihr ein gutes Gefühl. Irgendwann wurde ihr dann klar, dass sie den Tag nicht mehr überstehen konnte, ohne sich selbst zu verletzen, aber das war ihr egal. Es dauerte nicht lange, bis ihre Unterarme von einem Geflecht aus roten Narben überzogen waren und sie sogar noch an warmen Sommertagen langärmelige Blusen tragen musste.
    Sie hatte sich schon monatelang Schnitte zugefügt, als Julias Vater und Stiefmutter es merkten. Beverly fielen die Schnitte zuerst auf. Als Julia eines Morgens, ein Handtuch um den Leib, aus der Dusche trat, klopfte ihre Stiefmutter an der Tür und marschierte mit folgenden Worten herein: »Lass dich nicht stören. Ich hole bloß meine Pinzette …«
    Beim Anblick von Julias nackten Armen hielt sie verblüfft inne.
    Am Abend betrat Julias Vater nach der Arbeit mit besorgter Miene ihr Zimmer und fragte, was los sei. Wieso merkte er das nicht?, fragte Julia sich wütend.
    Kurz darauf ging ihr zweites Highschool-Jahr zu Ende. Ihr Vater und Beverly ließen sie nicht mehr aus den Augen. Doch statt sich darüber zu freuen, dass sie endlich ihr Ziel erreicht hatte, ärgerte sie sich darüber, dass sie sie am Einzigen hindern wollten, was ihr Trost verschaffte.
    Der Sommer war ein einziger Machtkampf. Sie begann sogar, sich auf die Schule zu freuen, um von ihnen wegzukommen. Auch weil sie Sawyer wiedersehen würde, den schönen Sawyer. Doch wenige Tage vor Beginn des neuen Schuljahrs eröffnete ihr Vater ihr, dass er sie aufs Internat schicke. Es handle sich um eine besondere Schule in Baltimore, erklärte er, für Teenager mit Problemen. Er werde sie am folgenden Tag hinbringen. Er gab ihr nur einen Tag Zeit, sich darauf einzustellen. Einen einzigen Tag. Obwohl er es den ganzen Sommer über hinter ihrem Rücken geplant hatte!
    An jenem Abend schlängelte sie sich durch das Fenster im Waschraum und lief weg. Wenn ihr Vater sie nicht mehr bei sich haben wollte, sollte ihr das recht sein. Aber dieses doofe Internat würde sie nicht besuchen. Leider wusste sie keine Alternative. Und so landete sie schließlich wie schon so oft auf der Tribüne des Highschool-Sportplatzes.
    Sie hielt sich schon ein paar Stunden dort auf, als Sawyer nach Mitternacht auftauchte. Seine weißen Shorts und sein weißes Polohemd leuchteten im Licht des Mondes.
    Als er den Blick hob, stockte ihr der Atem wie jedes Mal, wenn er sie in der Schule ansah.
    Sie musterten einander, dann überquerte er die Laufbahn und kam zu ihr auf die Tribüne.
    Zuvor war Sawyer in der Schule nie auf sie zugegangen, obwohl er sie beobachtete. Da viele Mitschüler sich so verhielten, war das, für sich genommen, nichts Ungewöhnliches. Aber er tat es ganz unverhohlen. Sie hatte sich schon oft gefragt, ob sie diese eigenartigen Gefühle für ihn
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