Die Mondscheinbaeckerin
»âºKleinâ¹ ist ja wohl eine Untertreibung.«
»Was habt ihr gemacht?« Er setzte sich in die Frühstücksnische und rieb sich die Knie, als schmerzten sie.
»Wir sind rumgelaufen und haben uns den Bauch vollgeschlagen. Sie hat mir ein T-Shirt gekauft.« Emily legte das Essen auf den Tisch, setzte sich ihm gegenüber und nahm das Shirt aus der kleinen Tüte.
»Ha! Das ist gut«, rief Vance begeistert aus, als er den Aufdruck auf dem Shirt las. »Hast du auch Leute in deinem Alter getroffen?«
Emily zögerte kurz, bevor sie antwortete: »Nur Win Coffey.«
»Na ja, es ist ihr Fest«, sagte er, während er das Essen auspackte und sich darüber hermachte. »Du musst andere junge Leute kennenlernen. Wenn ich mich richtig entsinne, hat mein Freund Lawrence Johnson einen Enkel. Er ist, glaube ich, an der Junior High.«
»Soll ich den babysitten?«, fragte Emily verwirrt.
»Du hast recht, der ist wahrscheinlich zu jung für dich. Wir haben Juli. Die Schule fängt erst nächsten Monat an; bis dahin wird dir sicher langweilig.« Er machte ein besorgtes Gesicht. »Merry will sich um deine Einschreibung hier kümmern. Soll ich mir die Schule trotzdem anschauen? Was meinst du?«
Emily war so auf Mullaby konzentriert gewesen, dass sie in letzter Zeit nicht oft an Merry, die Freundin ihrer Mutter, gedacht hatte. »Merry hat alles im Griff. Sie ist wie Mom sehr gründlich.« Emily betrachtete das T-Shirt auf ihrem SchoÃ. »Mom hat meine Schule mitgegründet. Wusstest du das?«
Er nickte. »Ja, von Merry. Deine Mutter hat ein bemerkenswertes Leben geführt. Merry hat mir auch von dir erzählt. Sie sagt, du hättest dich an vielen Aktivitäten der Schule beteiligt.«
Emily zuckte mit den Achseln. »Das wurde erwartet.«
»Bestimmt gibt es hier auch Dinge, für die du dich engagieren könntest. Und alles Mögliche, was sich am Abend unternehmen lieÃe.«
Ihr war klar, worauf er hinauswollte, denn er ging so subtil vor, wie ein Zwei-Meter-fünfzig-Mann es eben konnte. Sie sollte sich von Win fernhalten. Emily verstand, warum. Gleichzeitig fragte sie sich, ob sie durch ihren Aufenthalt in Mullaby etwas an der Situation ändern konnte. Wie ihre Mutter immer gesagt hatte: Warte nicht, dass die Welt sich ändert. In letzter Zeit hatte Emily oft über Hinweise nachgedacht, die ihre Mutter ihr im Lauf der Jahre bewusst oder unbewusst zu Mullaby gegeben haben mochte. Ihre spätere Persönlichkeit, das begann Emily allmählich zu begreifen, war ihre BuÃe gewesen. Sie hatte in jungen Jahren Menschen verletzt und dafür später anderen geholfen. Aber egal, wie viel Gutes sie getan hatte: Ihre Mutter war nie mit sich zufrieden gewesen.
Nach dem Essen stand Opa Vance auf, warf die Verpackung weg und ging noch einmal in die Waschküche, um in den Trockner zu schauen.
Emily musste wissen, warum er das tat. Als er zurückkam, schlüpfte sie aus der Frühstücksecke und fragte: »Wieso machst du das? Warum schaust du so oft in den Trockner?«
Er lachte. »Auf die Frage habe ich schon gewartet«, sagte er, nahm zwei grüne Flaschen 7 UP aus dem Kühlschrank und reichte eine Emily. »Als Lily und ich geheiratet haben, war ich ziemlich kompliziert. Ich hatte lange allein gelebt und bin ihr im Haushalt immer nachgelaufen, um sicherzugehen, dass sie alles so machte, wie ich es gewohnt war. Am meisten störte Lily, dass ich im Trockner nachgeschaut habe, ob sie Kleidung drin vergessen hatte.« Er schüttelte den Kopf. »Weil ich so groà bin, kann ich nicht richtig in den Trockner reinsehen, also bücke ich mich und greife hinein. Als ich eines Tages mal die Hand reingesteckt habe, war da was Kaltes, Schleimiges. Sie hatte einen Frosch aus dem Garten reingesetzt! Ich hab die Hand so schnell rausgezogen, dass ich hingefallen bin. Und der Frosch ist rausgehüpft, an Lily vorbei, die lachend an der Tür stand. Die Lektion habe ich gelernt! Wenn sie mir später im Scherz gesagt hat, ich soll in den Trockner schauen, hab ich immer ein kleines Geschenk von ihr drin gefunden.« Er öffnete die Flasche und trank einen Schluck. »Nach ihrem Tod habe ich weiter reingeschaut. Keine Ahnung, warum. Es ist ja nie was drin. Aber es erinnert mich an sie. Wenn mich was beschäftigt, schaue ich nach, für den Fall, dass sie mir einen Rat geben möchte.«
»Das ist
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