Die Mondscheinbaeckerin
»Sonst bist du um diese Zeit nie da.«
»Das Lokal gehört mir, Beverly. Ich kann kommen und gehen, wann ich möchte.«
»Apropos ⦠âtschuldige, Schätzchen«, sagte Beverly zu einem Mann an der Theke und drängte sich zwischen ihn und seinen Nachbarn. Es wurde eng, doch das schien sie nicht zu stören. »Hier ist die Ãberraschung, die ich erwähnt hatte!« Sie knallte den Umschlag vor Julia auf die Theke. »Dein Vater wär stolz auf mich. Du musst mir nur die Hälfte von Jâs Barbecue überschreiben, dann können wir uns beim Verkauf den Gewinn einfach teilen.«
Die Männer rechts und links von Beverly betrachteten Julia voller Neugierde und warteten gespannt auf ihre Reaktion. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Julia starrte das Kuvert auf der Theke an.
Mindestens eine Minute verging, bevor Beverly unruhig zu werden begann. »Julia, du weiÃt, dass mir das zusteht.« Sie beugte sich verschwörerisch vor. »Ich dachte, wir hätten uns auf was verständigt.«
»Das Einzige, was ich verstehe«, erklärte Julia, als sie schlieÃlich den Blick von dem Umschlag hob, »ist, dass mein Vater dich geliebt hat und du ihn verlassen hast.«
Absolute Stille im Lokal.
Beverly nahm das Kuvert. »Du scheinst schlechte Laune zu haben. Wahrscheinlich hast du nicht genug Schlaf gekriegt. Und du hast dieselben Klamotten an wie gestern. Mach dich ein bisschen frisch, dann treffen wir uns drauÃen.«
»Nein, Beverly. Dieses Gespräch ist hiermit beendet«, entgegnete Julia. »Du warst sein Ein und Alles, und ich hab ihm nichts mehr bedeutet, als du in sein Leben getreten bist. Die Narben, auf die du mich so gern hinweist, zeugen von meinen Versuchen, ihn auf mich aufmerksam zu machen. Er hat verdammt hart für dieses Lokal geschuftet, aber dir war das nie genug. Als es keinen Gewinn mehr abgeworfen hat, bist du gegangen. Glaubst du im Ernst, dass ich dir die Hälfte abgebe? Dass dir das zusteht ?«
Beverly schürzte die schmalen, pfirsichcremefarben geschminkten Lippen. »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Du hast dich zuerst von ihm abgewandt. AuÃerdem hat er sich deinetwegen tief verschuldet. Es war alles deine Schuld, Fräulein, also komm mal wieder von deinem hohen Ross runter.«
Was für eine Unverfrorenheit! »Wieso war ich für seine Schulden verantwortlich?«
Beverly schnaubte verächtlich. »Wie sonst hätte er die Besserungsanstalt zahlen sollen, in der du warst? Das bisschen, was er verdient hat, war noch zu viel, als dass er staatliche Beihilfe hätte beantragen können, und weil du aus einem anderen Bundesstaat kamst, waren die Gebühren höher als sonst. Er hat alles, was er besaÃ, für dich beliehen, du undankbare Göre. Trotzdem habe ich ihn damals nicht verlassen. Ich hab mich erst von ihm getrennt, als Bud sich für mich interessiert und dein Vater kein Wort darüber verloren hat. Er hatte schon lange aufgehört, mich wahrzunehmen, und die ganze Zeit nur von dir geredet. Dass du die Erste in seiner Familie bist, dieâs aufs College geschafft hat, dass du in der groÃen Stadt lebst, dass du deinen Traum verwirklichst. Deine Versuche, dich selber in Stücke zu schneiden, deine Schwangerschaft mit sechzehn, die Tatsache, dass du dich, obwohl er dir sein ganzes Geld geopfert hat, nie wieder hast blicken lassen, hat er einfach ignoriert.«
Julia sah die Ãberraschung auf den Gesichtern der Gäste. Die Narben an ihren Armen waren allgemein bekannt, doch niemand hatte geahnt, dass sie bei ihrem Abschied von Mullaby schwanger gewesen war.
Nun fiel es Julia wie Schuppen von den Augen: Ihr Vater hatte sich immer schwergetan, seine Gefühle zu zeigen. Sie selbst hatte zahlreiche Therapiesitzungen gebraucht, um zu lernen, wie sie ihre Erwartungen, besonders an die Männer in ihrem Leben, in den Griff bekommen konnte. Sie hatte immer geglaubt, sie wünsche sich groÃe Gesten und Liebeserklärungen, weil sie die von ihrem Vater nicht kannte. Manchmal hatte sie sogar gedacht, ihre Vernarrtheit in Sawyer, der so überlebensgroà war, beruhe darauf, dass sie sich nach etwas sehne, was in ihrer Beziehung zu ihrem Vater fehlte. Doch ihr Vater war ein zurückhaltender Mensch gewesen. Auch in der Liebe. Leider hatte niemand das begriffen. Alle hatten ihn verlassen, weil keiner leise genug gewesen war, ihm zu
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