Die Mondscheinbaeckerin
Schulgebäude auf der anderen Seite des Football-Felds drangen keine Geräusche herüber, obwohl die Fenster offen standen, ein Hinweis darauf, dass die Lehrer sich in den Klassenzimmern auf das neue Schuljahr vorbereiteten. Die Cafeteria befand sich im Erdgeschoss und ging auf den Sportplatz. Julia musste an das denken, was Sawyer ihr erzählt hatte, dass er sie in den Mittagspausen von dort aus beobachtet hatte.
Sie war etwa eine Stunde dort, als sie Sawyer auf der linken Seite des Spielfeldes entdeckte.
Er blieb am unteren Ende der Tribüne stehen und hob, die Fotos in der Hand, den Blick zu ihr. War er wütend? Würde sich wieder alles ändern? Sie versuchte, sich innerlich zu wappnen. Inzwischen war sie nicht mehr so verletzlich wie damals mit sechzehn und erwartete nicht mehr so viel. Es gab eine ziemlich lange Liste von Dingen, die sie niemals haben würde, und auf der standen Sawyer, ihre Tochter, lange Finger und die Fähigkeit, die Zeit zurückzudrehen.
Sawyer kam die Tribüne herauf. Beim ersten Schritt war er noch sechzehn, ein blonder Engel, der Traumprinz eines jeden Schulmädchens. Mit jedem weiteren wurde er älter; die Pausbacken wichen kantigeren Wangenknochen, seine Haut wurde brauner, sein Haar dunkler blond. Als er sie erreichte, war er der Sawyer von heute, von diesem Morgen ⦠von letzter Nacht.
Er setzte sich wortlos neben sie.
»Woher hast du gewusst, dass ich hier bin?«, fragte sie.
»Nur so eine Ahnung.«
»Schieà los«, forderte sie ihn auf. »Frag.«
»Die groÃe Frage muss ich nicht stellen. Ich weiÃ, warum duâs mir nicht gesagt hast.«
Sie nickte. »Okay.«
»WeiÃt du, wo sie jetzt ist? Was sie macht?« Er betrachtete die Fotos. »Ihren Namen?«
»Nein.« Julia zupfte an den Ãrmeln ihrer Bluse. »Die Akten sind nicht zugänglich. Wenn sie mich nicht finden möchte, kann ich sie auch nicht finden. Du sagst, dass du dem Geruch nach Hause gefolgt bist, wenn deine Mutter gebacken hat. Deswegen glaube ich, dass sie mich aufspüren wird, wenn ich für sie backe. Dass sie das nach Hause lockt.« Julia senkte den Blick. »Sie besitzt dein Gespür für SüÃes. In der Schwangerschaft hatte ich HeiÃhunger auf Kuchen.«
»Das war bei meiner Mutter auch so, als sie mit mir schwanger war.«
»Ich hätte sie so gern behalten«, sagte Julia. »Sehr lange war ich wütend auf alle, die mir nicht helfen wollten. Ich hab eine ganze Weile gebraucht, bis mir klar wurde, dass das nur irregeleitete Schuldgefühle waren, denn allein hätte ich es nie geschafft, mich um sie zu kümmern.«
Diesmal wandte er den Blick ab. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es nicht reicht, mich zu entschuldigen, dass ich dir und ihr etwas schulde.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kannâs immer noch nicht glauben, dass ich eine Tochter habe.«
»Du schuldest mir nichts. Sie war ein Geschenk.«
»Auf dem Foto sind deine Haare noch pink.« Er hob das Bild hoch, auf dem sie im Krankenhaus das Baby im Arm hielt. »Wann hast du aufgehört, sie dir zu färben?«
»Als ich in die Schule bin. Kurz nach diesem Foto habe ich sie mir ganz abgeschnitten.«
»Und wann hast du mit der pinkfarbenen Strähne angefangen?«
Julia schob sie nervös hinters Ohr. »Im College. Meine Freunde in Baltimore glauben, ich färbe sie mir pink, um hip zu sein. Aber ich tue es, um mich daran zu erinnern, was ich schaffen kann ⦠was ich schon geschafft habe. Die Strähne ermahnt mich, nicht aufzugeben.«
Langes Schweigen. Der Sportwart fuhr mit einem Rasenmäher auf das Football-Feld und begann, groÃe Runden darauf zu drehen. Julia und Sawyer sahen ihm zu.
»Wirst du bleiben?«, fragte Sawyer schlieÃlich.
Was sollte sie darauf antworten? »Ich habe mir so lange eingeredet, dass Mullaby nicht mein Zuhause ist, bis ich es tatsächlich geglaubt habe. Irgendwohin zu gehören fällt mir schwer.«
»Ich kann dein Zuhause sein«, sagte er leise. »Dann gehörst du zu mir.«
Julia sah ihn mit groÃen Augen an. Er streckte die Hand nach ihr aus. Sie nahm sie und schluchzte, bis sie nicht mehr konnte, weinte, bis der Sportplatz fertig gemäht war, der Geruch von geschnittenem Gras in der Luft lag und Mücken über die Laufbahn schwirrten.
Nach der langen Zeit des Suchens und Sehnens, des Bedauerns und der
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