Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Lippen die seinen.
Fast wäre er rückwärts wieder ins Wasser gefallen, so durchdrang ihn der Kuss seiner Geliebten, und ihre unmittelbare Nähe, ihre Haut, ihr Duft, ihr Gesicht, ihr Lächeln.
Sie trat zurück und faltete vorsichtig das nasse Schiffchen auseinander.
Laurine.
Du bist mir alles. Du bist mein Morgen. Mein Lachen. Du bist meine Angst, und Du bist mein Mut. Du bist meine Träume und mein Tag. Du bist meine Nacht und mein Atem, Du bist meine größte Lehre. Ich erbitte, Dich lieben zu dürfen. Und ich erbitte nichts weniger als ein Leben an Deiner Seite.
Sie las lange, genussvoll, ließ die Zeilen in ihrer Seele widerhallen.
Als sie aufsah, lag eine große Würde in ihrem Gesicht.
»Ja«, sagte Laurine.
Ja. Das schönste Wort der Welt.
49
L iebe? Was meinst du, Liebe?«
»Ein Künstler muss lieben, wenn er gut sein will.«
»Unsinn, er muss frei sein, sonst ist er kein Künstler. Frei von Liebe, frei von Hass, frei von allen definierten Emotionen …«
Paul ging Arm in Arm mit Rozenn an den beiden Männern vorbei und flüsterte ihr leise ins Ohr »Auftritt Kunstkritiker Paris, die Erste.«
»So sind Vernissagen, Paul«, flüsterte sie zurück. Er ließ seine Hand auf ihren Po gleiten.
»Lass uns nach dem Keller suchen«, raunte Paul.
Wer genau die Idee hatte, aus Yann Gamés Vernissage in Paris einen Ausflug zu machen, nachdem Jeanremy kurzerhand in Streik getreten war, war allen nicht mehr klar. Yann hatte die Ausstellung absagen, er hatte die Bilder sogar verbrennen, zerstören, zerfetzen wollen, doch Colette hatte sie in einem plombierten Container gelagert. Sie wusste, Künstler hatten so etwas manchmal, kurz vor der Veröffentlichung ihrer Werke: Dann waren sie so voller Angst, dass ihnen jemand ihre Bilder wegnehmen könnte und damit auch all die Gefühle und Gedanken, die sie in die Bilder gelegt hatten. Sie fürchteten den Raub ihrer Seele.
Colette hatte den 1. September gut gewählt; der Beginn der rentrée. Ganz Paris war wieder da und wollte sich dringend von der Provinz erholen, sich so viel Kultur und Neues zuführen, bis sie wieder im Modus der Hauptstadt tickten.
Pascale ging an den Bildern vorbei wie ein staunendes Kind. Emile hatte sein Bein hochgelegt und saß in einer Ausbuchtung eines hohen Flügelfensters, das auf die Rue Lepic hinausging.
Simon trat neben ihn. Er hielt Grete fest an der Hand.
»Seltsam, sie zu sehen, ohne dass sie hier is«, sagte der Fischer.
»Sie ist hier«, murmelte Emile. Dann drehte er sich um und wies mit einer großen, runden Armbewegung auf Paul und Rozenn, auf Madame Geneviève und Alain, auf Colette und Marieclaude, die ein bisschen zu laut war und zu schäkerhaft, ihre Tarnung gegen Nervosität und das seltsame Gefühl, eine frischgebackene Großmutter zu sein; die an den Bildern von Marianne vorbeigingen, langsam, als ob sie sich jedes Detail einprägen wollten. Viele blieben vor jenem stehen, das sie auf der Bühne zeigte, in gleißendem Schimmer. Die Mondspielerin war sein Titel.
»Sieh doch. In ihren Herzen ist sie. In ihrem Lächeln, wenn sie sie jetzt sehen und an sie denken. Und dort ist sie ganz besonders.«
Sie sahen beide zu Yann Gamé, der ein Porträt von Marianne betrachtete; es zeigte sie am Fenster des Muschelzimmers. Das Rot ihres Triskell-Mals, das Glühen des Himmels hinter ihr, der Meeressaum im Hintergrund des Bildes, ihre Augen. Es war ein Bild in unzähligen Rottönen, und das Meer wogte in ihrem Blick, Yann hatte es L’amour de Marianne genannt, die Liebe der Marianne.
»Was hat sie nur an sich?«, fragte Simon.
»Sie erinnert dich an deine Träume, wenn du noch welche hast«, sagte Emile langsam.
Der Fischer nickte. »Schau nur. Sie alle erinnern sich plötzlich an ihre Träume.«
Colette begleitete ein paar Besucher zu Bildern, klebte hier und da gelbe Punkte auf die Zettel mit dem Titel des Bildes, als Zeichen, dass sie optioniert und nach der Ausstellung verkauft werden würden.
Sie beobachteten die Pariser, immer mehr erschienen an dem Portal der Galerie, ein bisschen auch, um Colette wiederzusehen, Colette, sehr dünn, sehr blass, ganz in Schwarz, ihre Liebe zu Sidonie hatte ihr Gesicht weich werden lassen, ihre Trauer um sie ihre Bewegungen hart und eckig, als ob sie ohne ihre Gefährtin nicht mehr die Grenzen ihres Körpers spürte.
Jetzt ging gerade ein Mann in einem Tweedanzug und mit einem offiziell aussehenden Aktenkoffer auf Yann zu und weckte ihn aus seinem Brüten. Sie traten an das
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