Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Pascale. »Also, was ist los?«
Er hätte es wissen müssen, nicht so einfach davonzukommen. Er nahm die Brille ab, um Pascale nicht ansehen zu müssen. Es fiel ihm schwer, zuzugeben, was ihn an jedem Tag mehr und mehr verzweifeln ließ.
»Kunst … war immer alles, was ich hatte, Pascale. Und jetzt bin ich sechzig und stelle fest: Sie reicht nicht. Mein Leben ist leer. Eine leere Leinwand.«
»Ah! Komm runter vom Jammerkreuz, wir brauchen das Holz. Und Kunst, was soll das auch, Yann Gamé? Kunst ist ein Muskel, den du bewegst. Dem ist es egal, ob er Fliesen bemalt, ob er komische kleine Männchen bastelt« – Pascale deutete auf die Plastik aus Ton vor sich – »oder ob er Worte aneinanderreiht. Kunst ist, Yann.«
Sie machte eine Bewegung, bei der gleichzeitig ihre Augen rollten, ihre Schultern zuckten und ihre Finger auf das Land und die Welt zeigten. »Sie ist. Fertig. Was du fühlst, das ist die Frage. Du fühlst dich einsam? Ich sag dir was, Yann Gamé: Dir fehlt Liebe. Du erinnerst dich, Liebe? Dieses Gefühl, weswegen Leute Dummheiten machen oder zu Helden werden? Keine Kunst dieser Welt wird dich jemals zurücklieben, Yann. Du steckst alles, was du hast, in die Kunst, aber sie gibt dir nichts zurück. Gar nichts.«
Yann liebte Pascale, für diese dreißig Sekunden, für diesen Vortrag. Es konnte passieren, dass Pascale jederzeit aus dem Gespräch herausfallen und Yann fragen würde, wer zum Teufel er denn sei. Und sie würde in die Küche wanken und nichts wiedererkennen; den Tisch nicht als Tisch, den Zucker nicht als Zucker, ihren Mann nicht als ihren Mann.
Kunst. Liebe. Yann empfand sich nicht als Künstler. Er war artisan. Handwerker. Das bisschen Kunst darin, art, war genug. Und die Liebe? Liebe war wie eine zu große Leinwand; er wusste nicht, wie er sie füllen sollte, in ihm war kein Bild für dieses Gefühl. Es war das Element, das fehlte.
Er dachte daran, wie Colette Rohan ihn immer wieder zu überzeugen versuchte, größere Bilder zu malen. Überhaupt mal wieder Bilder, und nicht nur Kacheln. Die Galeristin hatte ihn mit Gauguin, Sérusier und Pierre de Belay verglichen und ihm schließlich vorgeschlagen, Frauen zu malen. Nackte Frauen.
Nackte Frauen in Pont-Aven? Dieu, das war Provinz, nicht Paris!
»Colette Rohan will Orgien haben«, sagte Yann aufseufzend. »Große Bilder mit großen nackten Frauen.«
»Puuuh!«, schnaubte Pascale. »Colettes Sache, ob sie dich zu Größerem berufen sieht. Aber wer weiß, vielleicht hat eine deiner klitzekleinen Fliesen anderer Leute Leben ganz groß gemacht?«
»Und das glaubst du ernsthaft!?«
»Ich stelle es mir schön vor.« Sie lächelte Yann verträumt an.
»Versprichst du mir was, Yann?«
»Nein«, sagte der Maler. »Ich mag keine Versprechen. Sag, was ich für dich tun kann, und ein Ja muss genügen.«
»Wirst du dich noch mal verlieben?«
Merline, die entspannt zu Yanns Füßen gelegen hatte, sprang jaulend auf. Er hatte die Hündin ins Ohr gekniffen.
»Ja oder nein?«
»Ich kann doch nicht versprechen, mich zu verlieben!«
»Wieso nicht? Du bretonischer kurzsichtiger Schwachkopf! Verliebtsein ist das Beste, was dir passieren kann. Das Essen schmeckt besser, die Welt ist schöner, und die Bilder sind schneller fertig. Sei nicht so ein Feigling. Verliebe dich! Mach die Augen auf, öffne dein Herz, hör auf, so verdammt schüchtern und einsiedlerisch zu sein, und fang an, dich wie ein Idiot zu benehmen.«
»Wieso muss ich denn gleich zum Idioten werden?«
»Je höher deine Bereitschaft ist, dich zum Idioten zu machen, desto eher wirst du dich verlieben. Mach das! Sonst wirst du alleine alt und bist schneller tot, als dir recht ist.«
Ja, Pascale, du Meisterin der Leidenschaft. Yann wusste genau, dass Pascale in jüngeren Jahren reihenweise Kerle verrückt gemacht hatte. Als Stewardess hatte sie auf der ganzen Welt Männer kennengelernt. Yann freute sich mehr für die Männer als für seinen Freund Emile. Die Typen hatten vermutlich eine der aufregendsten Frauen ihres Lebens getroffen. Aber Pascale liebte nur Emile. Manchmal hat Liebe seltsame Gesichter.
Liebe. Dieses Gefühl, das besonders groß im Angesicht des Todes ist – in Luftlöchern bei Flügen beispielsweise. Ist es weg, bist du auf Entzug, es amputiert dir den Kopf und das Herz.
Die Zeit bis dreißig hatte Yann mit dem Entzug seiner ersten großen Liebe verbracht. Jedes Jahr tat der Gedanke an Renée weniger weh, und er hatte Jahre gebraucht, um endlich wütend auf
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