Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
ihren freien Abend hatten. Und außerdem, wenn man schon mal da war, konnte man sich auch die Insel vor Raguenez am nördlichen Ende des Plage Tahiti ansehen, die bei Ebbe zu Fuß erreichbar war. Dort hatten die beiden Liebenden aus Benoîte Groults Roman Salz auf unserer Haut das erste Mal miteinander geschlafen.
»Noch auf ein Wort«, sagte Marianne am zwölften Tag zu Jeanremy. Er war dabei, Teig in Leinensäckchen zu knüpfen und in den sachte köchelnden Eintopf kig ha farz zu werfen, ein traditioneller Fleischeintopf mit Eierkuchen, Ochsenschwanz, Rindernuss, gepökeltem Schweinefleisch, Wirsing und Sellerie.
Marianne schob die Blumenkohlröschen beiseite. Der kaolenn-fleur kam von einem Feld direkt am Meer. Dann las sie aus dem kleinen Bestellbuch ab, das ihr als Übungsheft diente.
»Diese Albernheit. Mit dir und Laurine: Beende das. Schick ihr jeden Tag Blumen. Sei ein Mann und kein … triñschin. «
»Kein Sauerampfer?!«, wiederholte Jeanremy irritiert, während er Marianne ihre Aufgaben diktierte. »Premièrement: Das Schweineblut mit bleud, sukr, rezin, holen, pebr und etwas chokolad vermischen. Die Zwillinge von Paul feiern morgen ihren Geburtstag und haben sich süße Blutwürste, silzig, gewünscht.«
Marianne sammelte sich. »Jeanremy. Nicht silzig. Laurine!«
»Deuxièmement: die Tintenfische, morgazen, säubern. Das Häutchen abziehen, die Stacheln, den Hornschnabel und die Saugnäpfe.«
Marianne reichte Jeanremy auf seinen Wink hin rasch die Schüssel mit Weinflaschenkorken. Er schüttete sie zu den bereits geputzten Tintenfischtuben im Topf – der Kork würde das Eiweiß, das die Calamari sonst so zäh werden ließ, neutralisieren und das weiße Fleisch unnachahmlich zart werden lassen.
»Was ist mit Blumen?«, insistierte Marianne bittend.
»Außerdem müssen die patatez geschält werden!«
»Schreib ihr einen Liebesbrief, ya? «
Jeanremy flüchtete ins Kühlhaus. »Madame! Morgen beginnen die großen Sommerferien, übermorgen ist halb Paris in der Bretagne. Aus den verschlafenen Dörfern werden unruhige Bienennester; Feriengäste werden ein und aus schwirren, hungrig nach moules und homard. Es wird keinen Ruhetag mehr bis Ende August geben. Wann bitte soll ich da Briefe schreiben?«
»In der Nacht?« Und dann zärtlicher: »Kleiner triñschin.«
Madame Geneviève lächelte hinter der Bar in sich hinein, während sie Mariannes Worte vernahm. Sie kontrollierte den Bestand der Flaschen, das polierte Besteck, die Gläser und die Salz-und-Pfeffer-Menagen.
Madame Geneviève dankte allen bretonischen Göttinnen für diese Frau. Marianne hatte die Auberge geputzt, gewaschen und gebügelt, Tonnen von Betttüchern, Kissenbezügen, Tischdecken und Gardinen. Marianne erweckte die Auberge zum Leben.
Geneviève kontrollierte die Knöpfe ihres schwarzen Kleides und zog sich das Haar nach hinten, bis es an den Schläfen schmerzte. Der Zufall hatte recht gehabt. Diese Marianne besaß ein Herz, so groß, dass ein Tanker darin hätte wenden können. Die Besitzerin der Auberge wünschte sich, in ihrem eigenen Herzen wäre so viel Platz.
Ja, es hatte diese Augenblicke gegeben. Es hatte diesen Mann gegeben, diese Liebe, diese Nacktheit des Daseins, die alles andere von Wichtigkeit enthob; das Herz zum Bersten füllte und es groß genug für die ganze Welt werden ließ.
Aber dann. Dann hatte der Zufall seinen Zorn auf sie geschleudert. Geneviève atmete aus und verließ das Restaurant, um auf den Hafenquai zu gehen. Auf der Terrasse waren Gärtner dabei, Jährlinge in Fayencetöpfe zu setzen und das Gestrüpp vom Eingang der Auberge zu entfernen.
Laurine umarmte einen Besen, mit dem sie die Terrasse des Ar Mor kehren sollte. »Mon amour, oh, mon amour«, flüsterte sie dem Besenstiel zu, »je t’aime, schlaf mit mir, jetzt gleich«, und dann begann sie, mit geschlossenen Augen, mit dem Besen zu tanzen.
»Laurine!«
Erschrocken ließ die junge Frau den Besen los, er fiel klappernd auf die polierten Bohlen. Unter ihrem Pony wurde sie tiefrot.
»Was ist los mit dir! Träumst du?!«
»Ja, Madame. Ich habe geträumt, er sei mein Liebster, und wir sind nackt, und er …«
»Silence!«, donnerte Geneviève.
Laurine hob den Besen auf und drückte ihn an sich.
»Geh nach Hause zum Träumen!«
»Aber da ist doch niemand.«
»Hier ist auch niemand.«
Das Mädchen machte Geneviève kirre. Sie war von der Natur erschaffen worden, Legionen von Männern unglücklich zu machen – aber was tat sie?
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