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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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gut genug angezogen wäre. Sie hätte noch Stunden damit zubringen können, sich an- und auszuziehen. Jeans oder rotes Kleid? Enge Bluse oder weicher Pullover? Hohe Pumps oder flache Leinenslipper? Himmel, sie hatte einfach zu wenig Erfahrung damit, was eine Frau bei der ersten Verabredung mit einem Mann trug, um attraktiv, aber nicht zu einladend auszusehen. Sie hatte sich für die dunkelblaue Jeans, Pumps und eine weiße Bluse, die sie bis oben zuknöpfte, entschieden.
    Sie war so entsetzlich aufgeregt! Und das seit zwei Tagen. Sie konnte kaum essen, und vor allem bekam sie dieses lächerliche Grinsen nicht aus dem Gesicht. Sie schlief sogar mit diesem schiefen Lächeln. Das Wort Aufregung traf nicht einmal das, was Marianne fühlte: Es war nackte Panik. Albernste Freude. Sie wurde abwechselnd blass und knallrot.
    Schließlich war sie zu Jeanremy in die Küche gegangen und hatte sich von ihm widerspruchslos einen Rum eingießen lassen. Sie beruhigte sich etwas. Aber nur bis Jeanremy ihr die obersten zwei Knöpfe der Bluse öffnete, ihr leicht den Kragen hochklappte und ihr bedeutete, die sorgfältig gelegten Haare etwas aufzulockern. » Très jolie. Sehr rock ’n’ roll«, sagte der Koch, und Marianne ging zitternd auf den Quai zurück, um weiterzuwarten.
    Immer mehr fühlte sich Marianne wie ein Boot auf einem Ozean, das weiter und weiter hinaustreibt, bis vom Land nichts mehr zu sehen ist. Und genauso wich das Land ihrer Vergangenheit zurück. Sechzig Jahre, vergangen wie ein Tag, und dieser Tag kam ihr vor, als wäre er in einem weit zurückliegenden Jahrhundert passiert.
    Als Yann ausstieg und auf sie zukam, fürchtete sie, wahlweise in Gelächter auszubrechen oder in ein nicht enden wollendes Heuldrama. Sie war so nervös! Ihre Hände: klatschnass.
    Und wieder sah er sie so an.
    Niemals hatte sie ein Mann so aufmerksam angesehen; es war, als wärmte Marianne sich im Scheinwerferlicht von Yanns Augen.
    »Salut«, raunte er und beugte sich vor, um sie zu küssen.
    Diesmal waren alle drei bisous nah an ihrem Mundwinkel. Er küsste sie langsam, bedächtig, und sie sog seinen Duft ein. Yann roch nach frischer Luft und einem Hauch Farbe, nach einem angenehm herben Rasierwasser.
    Yann führte Marianne zu seinem wackeligen Wagen und öffnete ihr die Tür; er ließ es sich nicht nehmen, sie auch wieder zu schließen.
    Sie wusste gar nicht wohin mit ihren Händen und Blicken.
    Yann betete inständig, dass er nicht gerade dabei war, den dümmsten Fehler seines Lebens zu begehen. Die letzten zwei Tage war er ständig versucht gewesen, hierherzukommen und seine Einladung rückgängig zu machen. Aber das machte ein Mann nicht. Ein Rendezvous zu einer Beerdigung. Was hatte er sich nur dabei gedacht?
    Yann hatte den verstorbenen Fischer Jozeb Pulenn in Saint-Guénolé in Penmarc’h oft besucht, um Rochen und Kabeljau zu kaufen. Außerdem war der kurzbeinige Jozeb Yann behilflich gewesen, wenn der Maler im pays de Bigouden auf Motivsuche war. Wie oft hatte er die Chapelle Notre Dame de la Joie gemalt, die gotische Kirche am Rande des Meeres, und den höchsten Leuchtturm Frankreichs, den Phare d’Eckmühl, die das danebenliegende Dorf Saint-Guénolé so winzig aussehen ließen! Yann liebte es, seine Brille abzunehmen und nur zu malen, was er mit all seinen Sinnen fühlte – nicht, was seine schwachen Augen allein wahrnahmen.
    Aber war das Grund genug, um Marianne eine Totenfeier zuzumuten? Yann wagte kaum, sie anzusehen. Wenn er es doch tat, spürte er ihr Lächeln und ein seltsames Gefühl in sich aufsteigen; es besaß die Farbe Rot und pulsierte.
    Marianne wurde sich schamhaft bewusst, dass sie stets errötete, wenn sie Yann ansah oder mit ihm sprechen wollte; daher beschränkte sie sich darauf, aus dem Fenster zu schauen oder Yanns Hände zu betrachten, die das Lenkrad so entspannt und sicher hielten.
    Wenn sie sich dann doch in die Augen sahen, mussten sie beide gleichzeitig lächeln.
    Es war das schönste Schweigen, das Marianne je gehört hatte.
    Als sie nach einer halben Stunde Fahrt entlang der Küste den Hafen von Saint-Guénolé erreichten und zahlreiche Töchter, Enkel, Cousins und Schwäger Jozebs Yann und sie feierlich auf der Mole begrüßten, wurde Marianne das erste Mal etwas unheimlich. Vor allem als sie die Frauen – die älteren in Bigouden-Tracht mit den weißen Hauben aus Strohhalmen und Spitze, die jüngeren in Freizeitkleidung und weißen Halstüchern – und auch die Männer zur Begrüßung

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