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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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sein, wenn man beginnt, sich sein Leben zurückzuholen?«
    Marianne zuckte unbehaglich mit den Schultern. Rücksichtslosigkeit war etwas, das sie als die gesellschaftlich anerkannteste Form der unnötigen Gewalt betrachtete.
    Doch hatte sie nicht selbst rücksichtslos gehandelt, als sie hierhergekommen war? Immer drängender wurde die Schuld, die sie Lothar gegenüber empfand. Hatte er es nicht wenigstens verdient, Antworten zu bekommen? Um zu wissen, woran er war?
    »Wie wäre es mit etwas Rotem? Rot ist genau Ihre Farbe«, schlug Colette vor und rief erneut nach Katell.

24
    D ie Welt hatte intensivere Farben bekommen, als Marianne neben Colette aus der Boutique heraustrat. Oder lag das nur an dem doppelten Cognac, den Colette und sie nach ihrem Einkauf getrunken hatten? Marianne dachte an die Jeans, die erste Jeans ihres Lebens, die ihre Beine länger erscheinen ließ, als sie wirklich waren. An die flaschengrüne Lederjacke, die zusammen mit der neuen Haarfarbe das Grau ihrer Wangen fortzauberte. An das rote Kleid, den weichen cremefarbenen Pullover, an die Pumps, auf denen sie erst lernen musste, zu gehen, weil die Höhe ihr fast den Atem nahm. Und sie ahnte, auf dem Boden der gelackten großen Taschen würde sie noch weitere Kleidungsstücke finden, die sie wie in einem Rausch gekauft hatte – unterstützt von Colettes Kreditkarte. Konnte Kleidung eine Frau verändern? Nein. Aber sie konnte sie dazu bringen, sich selbst neu zu entdecken. Marianne hatte etwas in sich entdeckt, von dem sie geglaubt hatte, es nie besessen zu haben: Weiblichkeit.
    Und diese Weiblichkeit war nun außerordentlich hungrig. Etwas Brot und Käse, danach war ihr; die beiden Frauen betraten die Marktbäckerei von Pont-Aven.
    »Benedicto te, o panis seigel, ut est destructio et annihilatio omnium facturarum, ligationum, fascinationum et incantationum«, murmelte der Bäcker und ritzte ein Kreuzzeichen in den Boden des Gerstenbrots. »Ich segne dich, o Brot, dass alle Zauberei, Ligaturen und Beschreiungen durch Blick und Wort zerstört und vernichtet werden.« Erst danach erlaubte er der Kundin vor Marianne, ihren Seigellaib in den Einkaufskorb zu packen.
    Colette schnaubte unwillig auf. »Ich habe mich nie an diese Masche mit dem Brot gewöhnen können«, sagte sie zu Marianne. »In Saintes tragen die Frauen am Palmsonntag während der Prozession ein ausgehöhltes Brot am Ende eines geweihten Zweiges – es sieht aus wie ein Phallus. Der Priester segnet diese Brote, um sie vor dem Blick der Hexen zu schützen, und die Frauen bewahren sie das ganze Jahr auf. Die essen das bestimmt nicht. Wer weiß, was sie damit tun?«
    Marianne kicherte und strich sich träumerisch über den seidigen Stoff des pflaumenfarbenen Wickelkleids, das sie gleich anbehalten hatte. Es bedeckte ihr Mal, aber schenkte ihr ein Dekolleté, wie sie es noch nie an sich wahrgenommen hatte. Gut, Katell hatte ihr auch einen entsprechend hilfreichen BH verkauft …
    »Mein Brot müssen Sie nicht segnen«, unterbrach Colette laut.
    »Bitte sehr, die Dame, wenn Sie meinen«, murmelte der Bäcker. »Es ist so oder so ein geschütztes Brot. Sie kennen doch die dagosoitis im Wald, Pascale Goichon? Sie weiht die Feuer und vertreibt die Geister von Schiffen und aus Zimmern! Sie hat auch diesen Ofen hier geweiht.« Er zeigte hinter sich.
    Marianne horchte bei der Erwähnung von Pascales Namen auf.
    »Zum Glück ist sie keine sorcière noire! Wisst ihr noch, was vor vier Jahren in Saint-Connec geschehen ist?«
    Er wischte sich die mehligen Hände an der Schürze ab.
    »Das schon wieder.« Colette wurde ungeduldig.
    »Madame Gallerne dämmerte seit Jahren in einem todgeweihten Zustand. Die Tiere auf dem Hof starben auf mysteriöse Art und Weise. Nichts blühte mehr. Fernand Gallerne war verzweifelt. Ein böser Zauber war über seinen Bauernhof verhängt worden.« Der Bäcker machte eine Kunstpause. »Und der Zauber konnte nur gebrochen werden durch …« Er senkte die Stimme noch weiter, bis er heiser flüsterte: »Michel La Mer!«
    »Le magnétiseur?«, hauchte die junge Bäckerin ergriffen.
    Ihr Chef nickte.
    »Er kann einfach alles«, schwärmte sie, ihre Wangen färbten sich noch rosiger. »Es heißt, er könne den Satan vertreiben, Krebs, Unfruchtbarkeit, Fußpilz und Rinderwahnsinn heilen. Und alles nur mit seinen Händen!«
    »Jaja«, unterbrach der Bäcker ungehalten. »La Mer jedenfalls besuchte den Gallernschen Bauernhof und erkannte: Fernands Nachbarin Morice hatte das

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