Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Quellwasser vom Kieselgrund emporstiegen.
»Die Quelle lacht«, wisperte Yann. »Aber nicht immer. Nur wenn sie zwei sieht, die sich wie Merlin und Viviane …«
Er sprach es nicht aus.
Die sich lieben.
Marianne sah in das Wasser. Genauso fühlte es sich in ihrer Brust an: zarte Blasen, die aus einer unterirdischen Quelle nach oben perlten und sanft zerplatzten. Unerklärlich. Wunderbar.
Ihr Herz lachte wie diese Quelle, wenn sie mit Yann zusammen war.
Hand in Hand wanderten sie durch den stillen Wald, der Marianne erschien, wie er vor tausend Jahren gewesen sein musste. Dicht, verwunschen, dämmrig. Heide, Moor und tiefes Grün. Wege, die kein Förster je begradigte. Das Säuseln des Windes in mächtigen Eichen. Die Sonne warf hellgrüne Schatten auf den weichen Grund. Ihr war, als ob sich mit jedem Schritt Zeit und Raum auflösten.
Schließlich erreichten sie einen mit Weißdorn umwucherten Kreis aus aufrecht stehenden Felssteinen.
»Das Grab Merlins«, raunte Yann. »Hierhin hat ihn seine Geliebte verbannt.«
Fesseln, die er voller Freude empfangen haben musste, ging es Marianne durch den Kopf, ein erstaunlicher Mann, der Macht gegen die Liebe einer Frau eintauschte.
Merlins Grab wurde von Megalithen umrahmt, in deren unzähligen eingeritzten Spalten regendurchweichte Zettel steckten. Marianne wagte nicht, nach einem zu greifen.
»Es sind Wünsche«, erklärte Yann. »Dieser Ort ist ein nemeton, ein Ort der Götter. Und manchmal sind sie unseren Wünschen gewogen, wenn wir sie ihnen verraten.«
Marianne betrachtete das Grab und riss dann ein Stück Papier aus ihrem gelben Notizbuch, in dem sie sonst ihre Vokabeln aufschrieb. Sie bedachte Yann mit einem Blick, den er noch nie an ihr gesehen hatte. Forschend. Entschlossen. Und gleichzeitig so fern.
Marianne notierte einige Wörter auf dem Zettel, faltete ihn sorgfältig zusammen und schob ihn zu den anderen in eine Ritze.
Yann fragte nicht, was sie sich von den Göttern gewünscht hatte, und sie hätte es ihm auch nicht verraten. Aber etwas in ihm hoffte, dass er ihr ihren Wunsch erfüllen könnte.
Am Seerosenteich rasteten sie schweigend, umfangen von unbeschreiblichen Gefühlen. Marianne hielt ihr Gesicht in die warme Sonne. Ihre Züge waren gelöst, sie saß wie von tiefem Frieden erfüllt und sah aus wie eine träumende Fee, fand Yann.
»Wenn sich eine Fee in einen Menschenmann verliebt, ist sie oft in Sorge, dass er sie vergisst, sobald er das magische Reich verlässt«, hatte ihm seine Mutter erklärt, als sie ihm in seiner Kindheit von den Legenden der Feen erzählte. »Feen sterben, wenn der Geliebte sich nicht mehr an sie erinnert. Deshalb versucht jede Fee, einen Mann für immer an sich zu binden. Doch nur durch seinen Tod, geschenkt durch einen dunklen Kuss, kann die Fee ihren Geliebten auf ewig halten. So stirbt er in der Dieswelt und kann in der Anderswelt an der Seite seiner Fee sein.«
Es ist ein süßer Tod, der im Grund auf jeden keltischen Helden wartet, dachte Yann. Und ganz gleich, was ein Mann vorher war – ob ein König, ein Held oder ein schlichter Maler: In den Händen einer Fee war er nichts weiter als ein Mann. Ein Mann, der alles aufgibt, von dem er einst meinte, es sei sein Leben: Ruhm. Ehre. Geld. Macht. Anerkennung.
Yann betrachtete wieder Marianne; ihr Gesicht, wie das Licht mit ihrem Haar spielte, ihre Hände, die immer warm waren. Doch, beschloss er, es war das Klügste für jeden Mann, seine albernen Machtwünsche aufzugeben und sich stattdessen in die Hand einer Frau zu begeben. In ihr zu versinken.
Marianne hielt seinen Blick fest. Mehr denn je hatte Yann das Gefühl, einer Dame vom See gegenüberzusitzen; und er war bereit, ihren Kuss der Unendlichkeit zu empfangen.
Jetzt, als alter Mann, verstand Yann die Sage um Viviane und Merlin besser denn je: Frauen liebten. Diese Liebe war um so vieles größer, um so vieles unendlicher, als es Macht oder Mannsein je sein würden.
Yann stellte sich vor, wie schön es wäre, von Marianne über seinen Tod hinaus geliebt zu werden.
Als Marianne sich erhob, um die kurze Distanz zwischen ihnen mit zwei Schritten zu überbrücken und ihm die Hand zu reichen, war es ihr, als ob sich Yann mit allem, was er war, darbot; demutsvoll, als sei sie eine Königin.
Aus zwei Schatten am Uferboden wurde einer.
28
E ine Woche später, als Marianne mit Pascale französische Vokabeln übte, während sie das Abendessen zubereitete, schleppte Emile das Akkordeon an. Ein rotes
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