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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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Bühne auf dem Quai, und aus den Fenstern hingen französische und bretonische Flaggen.
    Pascale Goichon war noch dabei, alle Geister aus den Zimmern zu befreien und sie damit von schlechten Energien zu reinigen. Zum Schluss würde sie die Feuerstellen segnen – den Kamin im Foyer und den im Speisesaal – und einen Schutzzauber aussprechen.
    »Feiern wir ein großes Fest, weil die Auberge wiedereröffnet wird?«, fragte Marianne verwundert.
    »Ja und nein«, antwortete Geneviève. »Eigentlich feiern wir den Nationaltag. Aber gibt es ein besseres Datum, um eine Wiedergeburt zu feiern, als den bal populaire? «
    Der bal populaire! Das bedeutete, alles auf die Straßen zu verlegen: das Essen, das Trinken, das Singen, die Musik. Und den Tanz: Heute Abend würden in Kerdruc Walzer und Tango erklingen, Gavotte- und fest-noz -Musik. Die Menschen würden unter freiem Himmel feiern. Am 14. Juli gehörte der ganze Tag in jedem Dorf Frankreichs dem bal populaire.
    Jeanremy und Marianne hatten den Tag seit fünf Uhr morgens in der Küche mit Vorbereitungen verbracht. Heute Abend würde es Buchweizen-Crêpes und Cidre geben, steak frites und Lammkoteletts, Scampi und Quiches, Fischsuppe und Hummer, Käse und Lavendeleis, Hammelfleisch für die Einheimischen und Austern, Austern, Austern für die Touristen.
    Hinter der Kochparzelle unter freiem Himmel half Padrig nun Jeanremy beim Auftragen. Laurine stellte Lambig, Calvados, Pernod, Pastis, Champagner, Rosé, bretonisches Bier, Muscadet und jede Menge Rotwein bereit.
    Mit Padrig war Madame Geneviève Ecollier nur mäßig zufrieden: Der Sohn eines Maurers achtete so eifersüchtig auf die Alkoholbestände, dass er sie lieber selber trank, als den Gästen etwas davon zu lassen.
    Doch sie hatte keine andere Aushilfe bekommen – jeder, den sie gefragt hatte, war bei Alain Poitier in Rozbras engagiert! Und wie es da aussah – eine Kinderhüpfburg, die ein Piratenschiff darstellen sollte, eine Eisskulptur, die die Revolutionärin Marianne zeigte (kaum bekleidet und mit strammen Brüsten), und eine gezimmerte Tanzfläche mit blau-weiß-roten Girlanden. Geneviève fluchte.
    Marianne war für das Abräumen, Spülen und den Nachschub an Verpflegung für die Musiker eingeteilt. Als sie den Herren auf der Freiluftbühne belegte Baguettes und Schüsseln mit cotriade brachte, versuchte sie, nicht über die Instrumente des Quintetts zu stolpern. Sie deutete auf den Pommer. »C’est une bombarde, madame«, sagte ihr der kleinste der fünf Männer; er hatte krumme Beine und ein zerknautschtes Gesicht. Er nahm die Pfeife hoch und spielte eine Melodie an. Die anderen stellten ihre Suppenschalen zur Seite, nahmen Akkordeon, Violine und Bass zur Hand und begannen, ihn zu begleiten. Marianne wurde rückwärts durch die Zeit katapultiert.
    Sie war zurück in Paris, in einem grell erleuchteten Zimmer eines Krankenhauses und lauschte der Musik aus dem Radio. Eine Musik, zu der man tanzen wollte. Sie sah alte Männer mit jungen Frauen tanzen, sie sah eine lange Tafel, lachende Kinder und Apfelbäume, die Sonne, die ein Meer am Horizont beleuchtete, sie sah blaue Fensterläden an alten Sandsteinhäusern mit Reetdach.
    Als sie die Augen öffnete, war das Bild Wirklichkeit geworden.
    Sie fühlte, wie sie in der warmen Sonne stand, und eine Welle von unendlicher Dankbarkeit rollte über sie hinweg. Die Männer trugen traditionelle festouh-noz -Tracht: kreisrunde schwarze Hütchen mit Seidenband, dazu Bauchbinden, und sie spielten ein Lied, nur für sie.
    Unwillkürlich begann Marianne, sich zu wiegen, so wie in den Nächten am Strand, wenn sie Akkordeon geübt hatte. Marianne schloss die Augen und hob die Arme; sie begann, sich im Rhythmus der Musik zu drehen. Und sie tanzte, tanzte mit sich allein und ließ sich tragen und emporheben, dorthin, wo nichts lauerte. Nichts fragte. Wo alles gut war.
    Sie hörte erst auf zu tanzen, als die Musiker aufhörten zu spielen.
    In ihr war Ruhe eingekehrt und deckte alle düsteren Fragen zu.
    »Comment vous vous appelez?«, fragte der Geiger.
    Sie rief ihren Namen aus.
    »Mariann!«, wandte sich der Musiker begeistert zu seinen Kollegen. »Unsere Grande Dame, unsere Geliebte, die Heldin unserer Republik, unserer Revolution, unserer Freiheit – meine Herren, die Freiheit hat für uns getanzt!«
    »Vive la Mariann!«, riefen sie im Chor und verbeugten sich vor ihr.
    Marianne ging in die Küche, mit einem Gefühl, als sei sie eben gerade ein Stück weiter in ihr

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