Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
bis es wieder so weit war, an die Töpfe und Pfannen zurückzukehren. An den Tagen, an denen Marianne Pascale und Emile besuchte, begleitete er sie entweder und setzte sich zeichnend auf die Terrasse, oder er wartete, bis Jeanremy Marianne spätabends in den Feierabend entließ.
Meist kam Yann zweimal, nachmittags und abends.
Von ihm lernte Marianne schneller Französisch als von allen anderen; es mochte an seiner Stimme liegen, die einen warmen, zweifarbigen Klang besaß. Sie liebte es, mit ihm in seinem Renault übers Land zu fahren, Fischerdörfer zu besuchen oder die unzähligen Schlösser und einsamen Kapellen zu besichtigen. Und – sie mochte es auch, ihm nachzusehen. Seinen kraftvollen Schultern, die eher zu einem Zimmermann passen wollten als zu einem Maler.
Sie waren wie zwei Süchtige, die sich so zügellos ineinanderstürzten und aus der Gegenwart des anderen tranken, als ob es danach nie wieder etwas zu trinken geben würde.
Sie gewöhnte sich daran, dass der Mann mit den Seeaugen sie zeichnete. Nie zeigte er ihr seine Bilder; aber in Yanns Blick lag alles, was Marianne vorerst davon sehen wollte, wie er sie sah.
Und Yann füllte einen Skizzenblock nach dem nächsten mit Mariannes Gesicht, mit ihren Händen, ganz gleich, was sie tat. Ob sie kochte oder gärtnerte, eine Katze auf ihrem Schoß hielt, ganz still, um sie nicht zu stören, oder ob sie leise sang, während sie Gemüse putzte.
Bisher hatten sie sich nicht ein einziges Mal geküsst.
Marianne hatte es damit auch nicht eilig; sie wusste, es würde dann eine neue Ära beginnen. Aus einem Kuss würden zwei werden und dann eine Flut an Küssen. Sie würden nicht lange auf dem Mund des anderen verweilen wollen, sondern sich ihren Weg den Körper hinabsuchen. Und davor hatte sie Angst.
Marianne erbebte innerlich bei dem Gedanken daran, dass Yann sie ausziehen würde. Nackt sehen würde. Ihren alt gewordenen Körper. Die Haut. Die Falten und Täler, Buchten und beleidigenden Seltsamkeiten, die das Altern für den Körper einer Frau bereithielt.
Und doch. Gleichzeitig wuchs ihre Sehnsucht, Yanns Hände nicht allein an ihrer Wange, ihrem Arm, ihrem Mund zu spüren. Wie entsetzlich und grausam es aber wäre, wenn sie ihm nicht gefiele! Nein, das mit dem Küssen … das hatte Zeit.
An einem Montag, dem traditionell ruhigsten Tag im Ar Mor, gab Jeanremy ihr frei.
Yann und sie fuhren nach Osten, dem Zauberwald entgegen. Brocéliande.
Als sie den gewundenen Straßen nach Paimpont, vierzig Kilometer westlich von Rennes, folgten, brach Yann das warme Schweigen, das ihnen beiden schon so vertraut war. Er schloss den Straßenatlas, der auf Mariannes Knien lag.
»Auf keiner weltlichen Karte wird man einen Hain mit dem Namen Brocéliande finden; er ist unseren Träumen und Hoffnungen vorbehalten. In der Dieswelt ist sein Name der Wald am Brückenkopf. Doch in der Welt der Magie ist es der Zauberwald Merlins, das Reich der Feen und die Brücke zur Unterwelt.«
»Die Unterwelt? Ist das dasselbe wie die Anderswelt?«, fragte Marianne.
Yann nickte. »In Brocéliande ist der Heilige Gral der Artussage verborgen, dort entspringt die Quelle der ewigen Jugend. Wer von ihr trinkt, wird ewig leben. Es heißt, durch den Spiegel der Feen, einen stillen See, sei der Weg nach Avalon zu finden, wo König Artus wartet, dass ihn die Bretagne wieder zu sich ruft. Eine andere Legende besagt, auf dem Grund des Seerosenteichs wohne Viviane, die Dame vom See, in einer Kristallzitadelle.«
Marianne lauschte den Worten nach. Die Dame vom See. Nie zuvor hatte sie von ihr gehört, doch als Yann darüber sprach, schien es, als hätte sie es nur vergessen. »Wer ist sie?«, fragte sie leise.
»Sie ist es, die dem Zauberer Merlin alle Zauberkraft nahm und ihm dafür ihre ewige Liebe schenkte. Sie zog ihn hinab in ihre Tiefen, um ihm das bis heute andauernde Festmahl der Unendlichkeit zu schenken.«
Marianne sah vor ihrem inneren Auge ein Schloss aus Glas, umfangen von Wasser und spielenden Schatten.
Silbrige Nebelschwaden unter efeubewachsenen hohen Bäumen empfingen Marianne und Yann, als sie unter dem Haar der Eichen und dem Gehege der Birken in den Zauberwald eindrangen. Es war still. Eine abwartende Stille.
Nach zwanzig Minuten erreichten sie die Fontaine de Barenton.
»Hier haben sich Merlin und Viviane das erste Mal getroffen«, flüsterte Yann, als ob er die Geschöpfe des Waldes nicht stören wollte.
Marianne bemerkte die Blasen, die sachte in dem glasklaren
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