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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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wie möglich:
    «Ach, wissen Sie. Neugier.»
    «Hhm», machte sie.
    «Trotzdem», sagte ich, «haben Sie keinen echten Beweis dafür, dass Jacob prüde war, oder? Nur eine Ahnung, richtig? Einen greifbaren Beweis haben Sie nicht?»
    «Nein», antwortete sie. «Hab ich nicht. Aber ich habe jedes Tagebuch von ihm und jedes Buch über ihn gelesen. Und ich habe mir jeden einzelnen Brief von ihm und an ihn zu Gemüte geführt, meine Liebe. Ich hab alles gelesen, was es auf dieser gottverdammten Welt über ihn gibt, kann aber nichts finden. Nein, einen Beweis gibt es nicht. Aber anscheinend war er von seiner Schriftstellerei ebenso besessen wie Ihr Großvater von der Geschichte, und George war der gefühlskälteste Mann auf der ganzen Welt. Würde mich nicht überraschen, wenn das in der Familie läge.»
    «Okay», sagte ich. «Aber nehmen wir mal an,
ich
wollte herausfinden, ob er eine Affäre hatte. Was sollte ich tun?»
    Da seufzte Hazel Pomeroy sehr tief und schloss die Augen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich dieser gebrechlichen, kleinen Frau eine solch unverblümte Frage gestellt hatte. Die Sonne war gerade dabei, sich über den Hügeln im Westen zu verabschieden, und der Himmel überzog sich mit tiefdunklem Marineblau. Und dann öffnete sie die Augen und sagte: «Da bleibt Ihnen nur eines übrig. Lesen Sie seine Romane.»
    «Wie bitte?»
    «Lesen Sie seine Romane. Jeder weiß, meine Liebe, dass das keine Beweise im buchstäblichen Sinne sein können, aber vielleicht finden Sie auf indirektem Wege heraus, ob er etwas verbirgt. Ist schon was Erstaunliches, so ein fiktives Werk. Sagt manchmal mehr über einen Schriftsteller aus, als er selber in seinen Erinnerungen preisgeben könnte.»
    «Na gut», sagte ich. «Das kann ich machen. Wie viele Bücher hat er denn geschrieben?»
    Das kleine Haarbüschel an Hazel Pomeroys Kinn wackelte, als sie sagte: «Nur fünfundfünfzig.» Und während ich das Gefühl hatte, mir würden die Felle davonschwimmen, gab sie ihr meckerndes Lachen von sich, das die alte Bibliothek erfüllte und darin widerhallte. Fünfundfünfzig Bücher!, schien das Echo mich zu verhöhnen. In zehn Tagen! Hahaha! Dann stand sie auf und schlich mit tattrigen Bewegungen davon. Ein paar Minuten später kam sie zurück, einen Rollwagen vor sich herschiebend. Sie reichte mir die Bücher, die darauf lagen, eines nach dem anderen. «Da wären wir, Liebes», sagte sie fröhlich. «Fangen Sie mit denen hier an, und bleiben Sie am Ball.»
    «Danke, Hazel», sagte ich und stand auf. Der gelbe Umschlag meines Großvaters raschelte schuldbewusst in meiner Tasche. «Und danke für den Tee.»
    «Nichts zu danken, meine Kleine», sagte sie. «Und halten Sie in Ihrem Haus für mich nach Briefen und dergleichen Ausschau, ja?»
    «Werd schauen, was sich machen lässt», sagte ich. Ich packte die Bücherweg und versuchte, mein Unbehagen zu überspielen. Doch noch während ich dabei war, stieg eine wunderbare Idee knisternd in meinen Gedanken hoch. «Hazel?», fragte ich. «Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihr Telefon benutze? Ein Ferngespräch», bat ich. «Ich geb’s Ihnen wieder.»
    «Nicht nötig. Geht alles auf Staatskosten», sagte sie. «Und dann machen Sie die Flatter. Ich muss den Laden langsam zusperren.»
    Während Hazel sich raschelnd im Hintergrund zu schaffen machte, wählte ich Clarissas Nummer und hielt den Atem an. «Was ist denn?», sagte sie, als sie dranging. Sie klang sehr verschlafen.
    «Clarissa», sagte ich. «Du sitzt momentan furchtbar viel herum und hast nichts zu tun, oder?»
    «Nichts zu tun?», konterte sie. «Du machst wohl Witze, oder? Ohne mich würde sich die Erde nicht drehen. Das große Leitlicht würde flackernd erlöschen und all meine Kinder in tiefe Finsternis stürzen. Besonders das General Hospital würde …»
    «Ja, ja, zum Totlachen», sagte ich. «Hör mal. Weißt du noch, was für eine Turboleserin du am College warst?»
    Ihre Stimme klang ganz verträumt, als sie sagte: «Ich hab
Vater Goriot
in einer Stunde geschafft. Und die
Poetik des Raumes
in drei.»
    «Genau», sagte ich und hievte mir die Tasche mit all den gewichtigen Worten Jacob Franklin Temples auf die Schulter. «Hast du Lust auf eine kleine Herausforderung?»
    «O Mann», sagte Clarissa mit einem kleinen Jauchzen. «Na klar doch.»
    Bis ich Clarissa erklärt hatte, was ich von ihr wollte, und ihr angekündigt hatte, dass ich ihr die Bücher mit Overnight-Kurier schicken würde, war Hazel mit dem

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