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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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nach Hause und behandelte ihn fast so, als wäre er ein ungezogener kleiner Junge, was Jacob ihm einfach nur übel genommen hat. Ich glaube, diese kleine Vignette hat er geschrieben, um zu implizieren, sein Bruder habe etwas Schlimmes auf dem Kerbholz, aber Jacob hat es nie bis zum Ende durchziehen können. Es war doch zu lächerlich. Deshalb ist das Textstück auch in
Schatten und Fragmente
gelandet und nicht in irgendeinem Roman.»
    «Okay», sagte ich. «Aber die Geschichte muss doch irgendwo herkommen, oder? Gerade weil sie nicht
wortwörtlich
der Wahrheit entspricht,bedeutet das doch nicht, dass Richard nicht irgendeinen unehelichen Nachkommen haben könnte. Ich meine, selbst wenn es nicht geschehen ist,
könnte
es doch durchaus geschehen sein, oder? Oder er hatte wirklich eine Affäre mit Adah Phinney.»
    «Na ja», sagte Hazel, «wenn man so viel über diese Familie weiß wie ich, dann hält man das für verdammt unwahrscheinlich. Richard war, glaube ich, eine beinahe unbefleckte Seele; Marmaduke sagte immer, sein ältester Sohn habe das reinste Herz, das man sich vorstellen könne. Allen Berichten aus der Zeit zufolge lebte er keusch, was so weit ging, dass er nicht einmal mit Frauen redete, es sei denn mit seiner Mutter, und eine solche Angst vor ihnen hatte, dass man sich erzählte, seine Frau Anna habe ihm monatelang auf den Fersen bleiben müssen, bis er ihr überhaupt einmal ins Gesicht sah. Außerdem stellte sich heraus, dass Adah Phinney in jenem Herbst, in dem sie weglief, mit einer Eheurkunde aus Oneonta zurückkam. Damit habe ich mich eine Weile beschäftigt und sie vor ein paar Jahrzehnten auch tatsächlich ausgegraben – scheint so, dass sie mit einem Mann namens Gar Wilson durchgebrannt ist. Irgendein junger Tunichtgut, nehme ich an.»
    «Aber vielleicht ist ja trotzdem was dran. Vielleicht hatte Jacob doch recht, und Richard hat sich einfach irgendwo ein Mädchen geschnappt und es entführt», beharrte ich, obwohl ich merkte, dass meine kunstvoll zurechtgezimmerten Theorien sich langsam in Staub auflösten. «Was ist zum Beispiel mit dieser Lucille Smalley, derjenigen, die nie zurückkehrte?»
    «Nein», sagte Hazel. «Sie müssen lernen, besser zuzuhören. Es ist unmöglich.»
    «Aber wieso?», wollte ich wissen.
    «Weil, meine liebe Wilhelmina Upton, ich zufällig auch weiß, dass in der Zeit, als sich jene Episode in Templeton zutrug, also jener Erdbeerpflückausflug, Richard bereits unter der Erde war. Also», sagte Hazel. Es trat eine sehr lange Stille ein, und ich konnte Hazels schnelles Atmen im Hörer vernehmen.
    «Ach, Mist», sagte ich traurig. «Also wieder alles auf Anfang.»
    «Nicht ärgern, Willie», sagte Hazel. «So ist das Leben. Und trotzdem ist es seltsam, dass Sie mich anrufen und mir diese Geschichte erzählen, weil ich auch nachgedacht habe und, obwohl Sie sich bezüglich Richard ganz offensichtlich täuschen, dennoch das deutliche Gefühl habe, dass Sie auf der richtigen Spur sind.»
    «Wie, auf der richtigen Spur?», fragte ich misstrauisch.
    «Natürlich der Spur, die von den Temples zu dem Mann führt, der Ihr Vater ist», schnappte sie.
    Ich schaute blinzelnd zum Fenster, durch das gleißendes Licht hereinfiel. In diesem Moment schien Hazel bewusst zu werden, was sie mir da gerade verraten hatte. Sie gab ein missbilligendes Schnalzen von sich, das ihr selber galt. «Verflixt und zugenäht, Hazel Pomeroy», schalt sie sich selbst. «Kannst mal wieder nicht die Klappe halten, was?»
    «Wer hat Ihnen denn erzählt, dass ich nach meinem Vater suche?»
    «Ihr Kumpel Peter Lieder», sagte sie. «Er weiß von meinen Forschungen bezüglich Ihrer Familie. Irgendwann ist es ihm einfach rausgerutscht.»
    «Verdammt noch mal», erwiderte ich.
    «Nun hören Sie mir mal zu, meine Liebe», sagte sie. «Ich hatte immer schon den Verdacht, dass Ihre Mutter etwas zu verbergen hat. Ich wusste nur nicht, wie und was. Und wollen Sie denn nun wissen oder nicht, wer meiner Meinung nach Ihr geiler Vorfahr ist, wie Sie es nannten?»
    Ich stöhnte. «Natürlich möchte ich das», sagte ich. «Wer ist es? Guvnor Averell?»
    «Vielleicht», sagte sie. «Wer weiß allerdings, wie viel Sie über den an Schriftlichem noch ausgraben könnten. Ich habe den Verdacht, dass er Analphabet war. Ich denke dabei mehr an Marmaduke.»
    Mir blieb buchstäblich einen Moment die Spucke weg. «Sie machen Witze», sagte ich. «Wirklich Marmaduke?» Ich dachte an Hetty unddaran, dass Guvnor rotes Haar und

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