Die Monster von Templeton
Sommersprossen und Marmudukes wilden Blick gehabt hatte; wenn es einmal geschehen war, dann konnte es durchaus auch noch ein weiteres Mal passiert sein. Ich konnte gar nicht glauben, dass mir das nicht schon vorher eingefallen war. Doch wenn ich recht darüber nachdachte, war ich vielleicht doch nicht verratzt. Hetty konnte durchaus auch der einzige Fehler in seinem ganzen Leben gewesen sein, das warme Bett in einem kalten Winter, nachdem Elizabeth sich zum x-ten Mal hintereinander geweigert hatte, nach Templeton zu kommen. Ich sagte: «Aber war er denn kein Quäker?»
«Ja, aber» – hier senkte Hazel die Stimme zu einem Flüstern, als könnte sie abgehört werden –, «aber da gibt es etwas, das niemand weiß, Kleine. Hier kommt etwas, das Sie von niemandem hören werden außer mir. Und es ist der Hammer. Marmaduke starb nicht an einer Lungenentzündung, wie es überall in den Büchern steht. Marmaduke wurde ermordet, Willie.»
Mir stockte der Atem, und ich brachte erst mal keinen Ton heraus. Schließlich fand ich meine Stimme wieder und sagte: «Ermordet?»
«Wilhelmina», sagte Hazel. «Kommen Sie zu mir nach Hause, wann immer Sie können. Ich muss Ihnen etwas zeigen.»
Draußen war Templeton immer noch in Taubengrau gewandet, doch über den Hügeln durchbrach gerade ein Sonnenstrahl den Saum der Wolken und übergoss eine Gruppe von Bäumen mit einem sonderbaren Grüngold. Ich hatte mir ein kurzes gelbes Sommerkleid aus der Highschool angezogen, weil ich so traurig war und das Kleid das Einzige war, in dem etwas Licht zu stecken schien. Während ich durch die feuchten Dunstschwaden ging, dachte ich an Marmaduke Temple. Ich wusste nicht mehr als am Anfang, doch einfach aufhören konnte ich auch nicht angesichts all der vielen Vorfahren, die in der Halle der Unrühmlichkeit in Averell Cottage hingen und mit ihren Silberfischchenaugen darauf warteten, dass ich ihre tiefsten Familiengeheimnisse aufdeckte.
Hazels Cottage war eine winzige, grünschwarze Hütte auf der Ostseite des Sees in der Nähe von Pomeroy Hall. Offenbar handelte es sich um ein ehemaliges Sommerlager, denn ein Schild aus zusammengenagelten Brettern über der Tür verkündete, hier befinde sich Camp Meaham-koa-Ku-mea.
Ich klopfte an die Tür und hörte, wie Hazel drinnen, von leisem Fluchen begleitet, langsam auf die Tür zuschlurfte. Schließlich fummelte sie an drei verschiedenen Schlössern herum, und als ich die Tür aufstieß, trug sie ein dünnes weißes Nachthemd, das bis zum Hals zugeknöpft war, und Pantoffeln in der Form von Fröschen. Sie blinzelte mich an. «Alles in Ordnung mit Ihnen?», fragte sie. «Sie sehen blass aus.»
«Mir geht’s gut», sagte ich. «Camp Mea-ham-koa-Ku-mea – ist das indianisch oder was?»
«Quatsch», sagte sie und ließ mich herein. In ihrem Haus roch es überraschend angenehm, nach Äpfeln und saftiger Erde und nur einem Hauch alter Dame. «Die Familie, die das Haus hier 1880 gebaut hat, konnte das Geld dafür nur durch den Verkauf ihrer einzigen Preiskuh auftreiben. Richtig müsste es heißen:
Wir haben keine Kuh mehr,
das heißt, wir haben unsere Kuh verscherbelt. Landvolk. Aber setzen Sie sich doch. Ich hab ein paar Brownies gebacken», sagte sie und stellte, während ich mich auf dem Ledersitz eines ihrer unbequemen Stühle aus geschnitztem Walnussholz niedergelassen hatte, einen Teller mit verdächtig gleichförmigem Gebäck hin. Es roch nach Chemikalien.
«Nein danke», sagte ich. «Nett gemeint. Aber was hat es denn nun mit dem Mord an Marmaduke auf sich? Und wieso weiß niemand davon außer Ihnen? Einen Mord zu vertuschen ist schon eine große Sache, Hazel.»
Hazel schlurfte zu dem harten Ledersessel mir gegenüber. Während sie sich setzte, rollten die kugelförmigen Glubschaugen ihrer Froschpantoffeln hin und her. «Denken Sie doch mal nach, Wilhelmina»,sagte sie mit einem ungeduldigen Schnauben. «Niemand kann den Mord bezeugen. Es heißt, er sei bei Nacht geschehen und es habe geschneit, als er ermordet wurde, sodass die Blutflecken bald mit Schnee bedeckt waren. Damals waren die Leute dem großen Mann ihrer Stadt gegenüber loyal, und das war Marmaduke auf jeden Fall. Die saftigsten Geschichten waren immer Mundpropaganda. Und doch», sagte sie und zog mit einem imaginären Tusch eine gelbe Mappe unter einem Stapel Papier auf dem Tisch hervor, «ist einiges davon zur Presse durchgesickert. Werfen Sie da mal ein Auge drauf.»
Hazel klappte die Mappe auf. Drinnen lag ein brüchiges
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