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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Blatt Papier, auf dessen oberes Ende die Worte
Freeman’s Journal
in genau der Schrift gedruckt waren, mit der die Zeitung auch heute noch auf sich aufmerksam machte. Doch hier handelte es sich offenbar wirklich um eine alte Ausgabe des
Freeman’s Journal,
und ich blickte überrascht zu Hazel hoch. «Haben Sie das aus der Bibliothek gestohlen?»
    «Kein Thema», sagte sie, den Mund voller Browniekrümel. «Die haben doch jetzt Microfiche. Und jetzt los, lesen Sie», und das tat ich, ebenso aus Neugier wie um den Blick von der dunkelbraunen feuchten Masse abzuwenden, die in ihrem Mund lag.
    LEITARTIKEL AUS DEM
FREEMAN’S JOURNAL
6. DEZEMBER 1799
    Aufgepasst, Bürger von Templeton! Seid auf der Hut; bedenkt sorgfältig, wem Ihr Eure Wählerstimme schenkt; hütet Eure Frauen und Kinder vor eingängiger Rhetorik, denn in unseren Reihen befindet sich ein Schwindler. Ein Mann, der die Klasse verraten will, der er angehört, der die Grundlagen unserer jungen Demokratie zerstören will. Ein Mann, der aus dem Nichts kam, der durch Heirat an sein erstes Geld gelangte, der seinen Grundbesitz und sein Vermögen durch geschicktes Handeln aufbaute, bis er zu den reichsten Männern in diesem neuen Land gehörte. Denn ausgerechnet er zieht nun für die Partei ins Feld, die für die Errichtung einer amerikanischen
Aristokratie eintritt, welche den einfachen Bürger unter ihrem Joch halten will. Ausgerechnet er, der doch den braven Freibauern dieses Landes dankbar sein sollte für den Reichtum, den sie ihm gebracht haben, ist ein ausgemachter Föderalist.
    «Von wem sprecht Ihr, Phinney?», fragt nun womöglich der gute Leser dieses Blattes und raschelt verwirrt mit der Zeitung. Ich muss den Namen wohl kaum aussprechen, doch auf die geringe Gefahr hin, dass ihn jemand in dem dargestellten Schurken, jenem oben Porträtierten, nicht erkennt, so sage ich, es handelt sich um keinen Geringeren als den Grundbesitzer Marmaduke Temple.
    Heute spreche ich diesen Namen mit Kummer aus; einst war Temple wie ein Bruder für mich. Denn als ich im Spätjahr 1786 nach Templeton kam, war ich jung und abenteuerlustig und bereit für eine Umwälzung in meinem Leben. Fünf Jahre war ich damals bereits bei der schreibenden Zunft gewesen und brannte darauf, ein Mann der Landwirtschaft zu werden. Die Schriften der großen Philosophen hatten mich entflammt, und ich glaubte fest daran, dass nur das Leben eines braven Bauern mit Schmutz unter den Fingernägeln das wahre Leben sei. So seltsam es mir heute auch vorkommt, da ich die Mitte meiner Jahre überschritten habe und Besitzer der größten Druckerei im Staate New York sowie dieser Zeitung bin, aber in jenen Jahren konnte ich es kaum erwarten, mit den Händen im Lehm zu wühlen und mir im Schweiße meines Angesichts mein Brot zu verdienen. Junge Männer sind oft töricht. Als ich damals in das baufällige Büro kam, das er in jenen ersten Jahren sein Eigen nannte, warf mir Temple einen Blick zu und brach in schallendes Gelächter aus, wie es typisch für ihn war. Zugegeben, ich war sehr kleinwüchsig, und damals konnte man die meisten meiner Knochen durch meine Kleidung hindurch sehen.
    «Ihr?», fragte er. «Ausgerechnet Ihr denkt, Ihr wärt aus dem richtigen Holz geschnitzt, um hier auf dem Land zu leben? Mit diesen weißen Händen und allerlei Schriftstücken von der Universität?» Seine Worte brachten mich erst recht in Rage – ein Mann meines Alters, der sich über meine Fähigkeiten
lustig machte! Ich richtete mich so gerade auf, wie ich nur konnte, und gab ihm ein entschlossenes Ja zur Antwort.
    Man muss ihm zugute halten, dass der Grundherr meinen Mut zu schätzen wusste und mir ein Stück Land am Fluss verpachtete, das einer der Siedler bereits für den Abbau von Pottasche gerodet und zu einem höheren Preis an Temple zurückgegeben hatte. «Wenn Ihr feststellt, dass Ihr doch ein anderes Auskommen hier finden möchtet, Phinney, so werde ich Euch mit Freuden dabei helfen. Wir brauchen dringend gebildete Männer hier im Dorf», sagte er nicht unfreundlich.
    Ich wünschte, behaupten zu können, ich hätte es ein Jahr oder auch nur sechs Monate auf meinem Grundstück ausgehalten. Zwei Monate dauerte es, bis ich mich wieder zu ihm ins Büro schleppte, schmutzig und an einem Katarrh leidend, den ich mir durch mein schlecht gedecktes und leckendes Dach zugezogen hatte. Temple nahm mich ins Wirtshaus mit und lud mich zu einigen Krügen Eierpunsch ein. Im Laufe des Abends hatte ich ihm verraten,

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