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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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mir aufrichtig leid, wenn ich dich enttäuschen muss. Wirklich. Aber ich glaube nicht, dass eine Rückkehr infrage kommt.»
    «Das werden wir sehen», sagte sie und schaute mich aus zusammengekniffenen Augen an. «Bis dahin jedenfalls wirst du etwas tun. Wenn’s ganz schlimm kommt, kannst du immer noch als Freiwillige im Krankenhausarbeiten. Ich lass dich den ganzen Tag Durchfall aufwischen. Ich glaube, das würde mir gefallen.» Sie grinste, und einen kurzen Moment lang sah ihr Gesicht wieder ganz jung aus. «Eine kleine Buße tut immer ganz gut.»
    «Ich hab dich lieb, Vi, aber ich werde keinen Durchfall für dich aufwischen. Nie im Leben», sagte ich.
    «Nun, wenn du bei mir wohnst, wirst du wohl keine andere Wahl haben.» Sie seufzte mir zu und rieb sich die Stirn. Ihr Mund war wie ein schmaler Strich, nach unten gebogen. «Willie, ich kann das einfach nicht glauben. Ich kann nicht. Ich meine, ich hab mir so viel für dich gewünscht, hab mir gewünscht, du könntest all die Dinge tun, die ich nie tun konnte, weil ich nie so schlau oder so schön war wie du. Ich bin durchgebrannt, als ich fünfzehn war, weil meine Mutter unbedingt wollte, dass ich die Schule überhaupt mal fertig mache, um Himmels willen. Ich hab mein Bestes versucht. Na ja, und du siehst, was dabei rausgekommen ist.»
    «Du hast alles wunderbar gemacht, Vi», sagte ich und merkte plötzlich, dass ich kein Wort mehr herausbrachte.
    Es herrschte eine unangenehme Stille, die sich zog wie Gummi, während aus dem Park blubbernd das Raunen der Menge bis zum Haus aufstieg, ein paar Frösche im Teich quakten und die Standuhr im Esszimmer tickte und tickte. Meine Mutter sagte: «Na ja, irgendwann würde ich gerne mal die ganze Geschichte hören, wenn du bereit bist, sie mir zu erzählen. Vielleicht kann ich dir ja helfen. Und es ist immer reinigend, wenn man seine Sünden beichtet.»
    Ich schaute auf meine Hände hinunter. Kurz blitzte in mir eine Erinnerung auf: an den roten Schimmer der Zeltwand auf meinem Schlafsack, an die kleinen Haarwirbel auf Primus Dwyers Arm, an den Flachmann, in dem kein Whisky mehr war. Mich schauderte. «Ich glaube nicht, dass ich es dir erzählen kann, Vi», sagte ich. «Es ist schlimm. Richtig schlimm.»
    «Oh», sagte sie. «Natürlich empfindest du es jetzt so. Aber es wirdbesser. Du wirst sehen.» Sie tätschelte mir die Hand, und ein paar Käsestückchen blieben an meinen Fingern haften. «Für mich ist es schrecklich, dich so zu sehen, Willie. Du hast gar keinen Mumm mehr. Keinen Pep. Es macht mich so traurig.»
    «Ich weiß», sagte ich. «Mein Mumm ist zu einem kleinen Ball mitten in der alaskischen Tundra gefroren.»
    «Ha», machte sie, und kurz war ihr Gesicht von einer Art warmem Licht erfüllt. «Na ja, bis dahin jedenfalls willkommen zu Hause. Im Übrigen», fügte sie hinzu, holte tief Luft und schloss die Augen, «hab ich dir ja gesagt, ich hätte dir etwas mitzuteilen, und so ist es auch. Ich habe es jetzt schon eine ganze Weile vor mir hergeschoben, vielleicht ist es auch nicht der rechte Zeitpunkt, um es dir zu sagen. Aber jeder Tag, an dem ich dir nicht die ganze Wahrheit sage, ist ein Tag der Lüge.» Sie packte mit ihren fettigen Fingern das Kreuz und schaute mich dabei mit einer Intensität an, bei der ich ganz nervös und schwitzig wurde.
    «Was denn?», fragte ich. «Worum geht es denn? Sag es doch einfach.»
    «Gib mir eine Minute Zeit, Willie. Es ist sehr schwierig.»
    «O Gott», sagte ich. «Heiliger Strohsack, das klingt aber gar nicht gut.»
    «Nun», sagte sie. «Kommt darauf auf, wie man es betrachtet. Zuerst einmal muss ich dir sagen, dass es mir leid tut, Willie, dass ich dich so lange angelogen habe. Bist du bereit?»
    «Nein», sagte ich.
    «Na gut», erwiderte sie. «Dann los jetzt. Willie, ich habe dich angelogen, als ich dir gesagt habe, du hättest drei Väter. Du hast nur einen, und er lebt in Templeton, und er ist ein angesehener Bürger der Stadt und hat eine eigene Familie. Und ich weiß nicht einmal, ob er weiß, dass es dich gibt. Na ja, ich bin mir sicher, er weiß, dass es dich gibt, aber vielleicht nicht, welche Rolle er gespielt hat … na ja, bei deiner Entstehung. Als dein Erzeuger, meine ich. Ich bin mir ziemlichsicher, dass er nicht weiß, dass du sein Kind bist. So wie du keine Ahnung hast, dass er dein Vater ist. Der Samenspender. Was auch immer.»
    Ich blinzelte sie an.
    Die ganze Nervosität wich aus ihrem Gesicht, und langsam machte sich ein Ausdruck der

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