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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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glaube, er hielt es für eine andere Art von leidenschaftlicher Regung als die, die ich empfand, denn er fing mich in seinen Armen auf und küsste mich … diese Frauenlippen auf meinen … und die ganze Zeit schlug ich um mich, versuchte ihn zu treten, ich war so wild, so zornig … er drückte mich zu Boden, schob meine Röcke hoch, und ich glaube wirklich, fast wäre etwas Schreckliches passiert, doch ich war so wütend, dass ich mich losriss … nach Hause lief und er mir hinterher … «Sarah, verdammt, bleiben Sie stehen, ich muss mit Ihnenreden! Bleiben Sie stehen, Sarah, Ihr Vater hat schon zugestimmt!» … Ich lief ins Haus. Hinter dem Vorhang meines Zimmers hervor sah ich ihn auf dem Rasen stehen, meine Schuhe wie Vögel in seine Hände gebettet. Er stellte sie ganz behutsam auf das Rosenbeet und ging mit staksigen Schritten davon … mein Magen, ganz sauer … und mein Kopf füllte sich mit so vielen Stimmen, das kleine Mädchen, der Mann, der redet wie in der Bibel, mein gebrochenes Herz, für Templeton, meine sterbende Stadt …
    Wenn es um Anstandsregeln geht, ist mein Vater eisern – er hatte Mr. Upton zum Abendessen eingeladen … keine angenehme Sache. Meine Mutter und ich waren bestenfalls höflich: Ich schaute ihn kein einziges Mal an. Ich wollte nur, dass der verfluchte Hurensohn endlich die Segel strich. Mein Vater, der alte Gentleman, plauderte freundlich, obwohl Mr. Upton ihn an diesem Tag um zehn Jahre hatte altern lassen. Ich hatte mich für die Gelegenheit entsprechend angezogen, trug mein bestes Kleid aus smaragdgrüner Seide, der Farbe meiner Augen. Ich war so schön wie nur möglich … gewiss eine etwas läppische Methode, um ihm zu zeigen, was er verliert, wenn er Manhattan unserem kleinen, hübschen Templeton vorzieht … Mr. Upton schien mich anzuflehen, mit jedem Klappern seines Bestecks … dabei aß keiner von uns etwas… Am Ende des Nachtischs stürmte ich hinaus, und Mr. Upton – was für ein stilloser Geselle – lief mir hinterher, nahm mich im Flur am Arm, zischte: «Noch ist nichts verloren, Sarah, seien Sie keine Närrin. Sie können Ihre Stadt immer noch retten, wenn Sie wollen», und dann drehte er sich um und ließ mich dort auf dem Flur stehen, um ins Speisezimmer zurückzukehren. Meine Knie gaben nach. Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen. Und hörte zu, dort auf meinem Platz, wie mein Vater, seinem guten Geschmack verpflichtet … und ahnungslos … freundlich zu diesem schrecklichen Menschen war … und auch meine Mutter, die das, was sie sah, für einen Ausdruck romantischer Zuneigung zu ihrer geliebten, schönen, aber irren (deshalb auch nicht zu verheiratenden) Tochter hielt … Ja, selbst meine vernunftbetonte, reinherzige Mutter … sprach wieder in nettem Plauderton mit ihm.

    Es wird spät. Es ist elf Uhr abends. Ich bin in meinem Zimmer auf und ab gegangen. Über all die Stimmen hinweg dröhnt und dröhnt der Mann, überlaut.
Ihr müsst, Ihr müsst, Ihr müsst.
Die Glocke der Methodistenkirche schlägt, ebenso die der presbyterianischen. Ich habe mein Kleid noch nicht ausgezogen. Wieder und wieder habe ich mich übergeben, bis mein Magen völlig leer und wund war und meine Kehle brannte. Ich habe mir die Zähne geputzt, bis das Zahnfleisch zu bluten begann. Ich habe mein Haar zu einem strengen Knoten zurechtgesteckt, aber einzelne Locken fallen immer wieder heraus. Ja, ich werde gehen.
    Es ist vorbei … es ist alles vorbei. Mehr kann ich jetzt nicht schreiben.
    … Ich habe es getan, aber ich verstehe es nicht … nicht jene Nacht vor zwei Wochen. Das war nicht ich, die ihre Schuhe anzog, die sich die geschwungene Treppe von Edgewater hinabschlich. Nicht ich, die in die frisch, grün duftende Nacht hinaustrat, sich bis ans Ende der Auffahrt stahl und dann zu laufen begann, so flink, wie mich meine Beine trugen, die Fair und die Lake hinunter, am Lakefront Park und an Averell Cottage vorbei, die Chestnut Street hoch. Das war nicht ich, die sich ins Motor Inn stahl, so leise, dass der schnarchende Nachtportier nicht aufwachte, die die Leiste hinter ihm nach dem Schlüssel absuchte, der fehlte, Nummer neun, die sich die Treppe hochschlich, tapfer, mutig. Und eintrat, ohne zu klopfen … Mr. Upton hatte sich zwar frisch für mich rasiert, schien aber trotzdem sein Glück nicht fassen zu können, denn er ließ die Zigarette fallen, Aschewurde über den Teppich geweht … So standen wir voreinander, lange Zeit … Er machte einen Schritt vorwärts, grinsend

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