Die Monster von Templeton
beinahe das Gefühl, Sarahs Templeton hätte sich über mein eigenes gelegt; als hätte jemand ein Blatt Pauspapier über die Häuserdächer meiner Heimatstadt gebreitet, und darauf sei eine detaillierte Zeichnung eines einfacheren Templeton erschienen. Einige Häuser, einige Läden, einige Straßen, die ich kannte, waren verschwunden, und Felder, Wäldchen und andere Gebäude hatten ihren Platz eingenommen; der Verputz blätterte von den ältesten Gebäuden, Schicht um Schicht; große Bäume zogen sich zusammen, wurden wieder zu winzigen Schösslingen und schließlich zu Samen; alte Männer wurden immer jünger und straffer, bis sie schließlich rasch schrumpften und nicht einmal mehr ein Flimmern im Auge waren. Ich spürte die Anziehungskraft der Geister im See, wusste, wenn ich auf den Rasen hinausblickte, würden dort die schrecklichen unsichtbaren Freunde stehen, von denen Sarah gesprochen hatte, in schnurgeraden Linien, wie Soldaten, den ganzen Rasen hinab, und alle würden sie hoch in mein Fenster schauen, mit ihren tiefen Höhlen anstelle der Augen.Doch dann erwachte unten am Lakefront Park ein Lastwagen rumpelnd zum Leben und durchbrach den Zauber. Der Lastwagen gab ein lautes Ächzen von sich, dann wurden quietschend die Bremsen gelöst. Das Ungeheuer hatte sich in Bewegung gesetzt.
Ich lief den Flur mit meinen Vorfahren entlang, spürte all die vielen kleinen Augen in meinem Rücken. Ich riss die Tür auf und rannte in den Vorgarten. Auf der gesamten Länge der Lake Street eilten die Bewohner Templetons aus ihren Häusern, hier fehlte ein Hausschuh, dort stand ein Morgenmantel offen, Haare waren zerzaust. Jetzt kam der Lastwagen in Sicht, bog mit einem Brummen nach links in die Lake Street ein. Als er um die Kurve war, begann er zu beschleunigen.
Schweigend beobachteten wir, wie das Ungeheuer näher kam. Wir betrachteten die Plane, die den Kadaver bedeckte, sahen, wie sich im Wind eine Ecke verschob und den Blick auf eine zarte Hand freigab, die zusammengerollt vor der Brust lag. Keiner sprach ein Wort, wir taten sogar so, als bemerkten wir einander gar nicht, all die Nachbarn, die dastanden und zuschauten; und dass wir, indem wir zuschauten, mitschuldig daran wurden, dass das Ungeheuer für Studienzwecke aufgegeben wurde. Und wir atmeten nicht seinen düsteren, feuchten Gestank ein, sondern hielten die Luft an, während wir dem Lastwagen dabei zusahen, wie er vorbeifuhr und sich langsam entfernte. Wir schauten zu, bis das Ungeheuer schon so weit die Straße entlanggefahren war, dass man es nicht mehr sehen konnte. Einige von uns sprangen in ihre Autos, um ihm zu folgen.
In dem stummen Autokorso hinter dem abtransportierten Flimmy gab es keine Touristen, keine Sommergäste, nur waschechte Bewohner von Templeton. Und ich sah, dass in einem der Begleitfahrzeuge Ezekiel Felcher saß. Sein Abschleppwagen schimmerte gelb, und er saß auf dem Fahrersitz, hielt die Mütze ans Herz gedrückt und sang ein Lied.
Ich drehte mich um, um hineinzugehen. Vi stand auf der gefliestenVeranda, ihren Batikmorgenmantel eng um sich geschlungen. «Fühlt sich irgendwie seltsam an, heute Morgen», sagte sie, eifrig darum bemüht, mich nicht dabei anzusehen. «Templeton. Vielleicht wirkt es ein wenig leerer. Finde ich.»
Ich nickte ihr nur zu und ging hinein.
An jenem Morgen, bevor ich zu Bett ging, um den verlorenen Schlaf der letzten Nacht nachzuholen, setzte ich mich mit Vi an den alten Bauerntisch. Sie beugte den Kopf über ihre Cornflakes und sprach ein langes, stilles Gebet, und als sie wieder aufblickte, um Zucker auf ihre Flakes zu streuen, sagte ich: «Vi. Es ist wirklich nicht gut für dich. Extra Zucker, meine ich.» Ich blickte auf die Wölbung ihres Bauches, auf die beiden riesigen Hügel ihrer Brüste, und fügte hinzu: «Als ich ein Kind war, hast du solches Zeug nie im Schrank gehabt. Und als Krankenschwester müsstest du es eigentlich besser wissen.»
Sie zog die Stirn in Falten und legte den Löffel beiseite. «Geht dich nichts an.»
«Ich möchte, dass meine Mutter gesund ist. Das geht mich schon was an.»
«Ich bin sechsundvierzig Jahre alt, liebe Willie», sagte sie. «Ich hab mich lange genug mit Erdnussbutter und Tofu aus kontrolliertem Anbau herumgequält, als du noch klein warst, und Menschenskind, wenn ich heute, wo ich auf die fünfzig zugehe, meine Cornflakes ein bisschen süßer haben will, dann mach ich sie mir eben etwas süßer.» Ihr Gesicht war leicht gerötet, und sie sah sehr
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