Die Moralisten
Hoffnung. Nach einem Monat hörte ich auf, mich nach Arbeit umzutun, und blieb wieder zu Hause.
Marianne war glücklich darüber, aber ich empfand nur Bitterkeit. Es erbitterte mich, daß ich nicht einmal eine lausige kleine Arbeit ergattern konnte. Ich saß meist in dem großen Sessel und starrte Gerros Bild an, und das Bild schien mich anzustarren. Stundenlang saß ich so da und grübelte über mein Versagen nach.
Eines Tages, als ich wieder in dieser Stimmung vor dem Porträt saß und Marianne an ihrem neuesten Bild arbeitete, begann eine Stimme in mir zu flüstern: >Du bist erledigt. Aus dir wird nie etwas Gescheites werden. Für den Rest deines Lebens wirst du von Almosen leben.<
Die Stimme war so wirklich und so stark, daß ich unwillkürlich laut darauf antwortete: »Ich will aber nicht.« Meine Stimme klang rauh und zerbrach die Stille des Raumes.
Wütend warf Marianne Pinsel und Palette auf den Tisch. Ich hatte ihre Konzentration gestört. »Habe ich dir nicht tausendmal gesagt, daß du ruhig sein sollst, wenn ich arbeite?« schrie sie.
Ich blickte überrascht zu ihr hin. Ich hatte ganz vergessen, daß sie im Zimmer war. »Verzeihung«, sagte ich.
»Verzeihung!« Sie ahmte meine Stimme in häßlicher Weise nach. »Verzeihung, sagt er! Du Idiot, weißt du überhaupt, was du getan hast! Du hast mir das Bild ruiniert - das hast du fertiggebracht! Jetzt kriege ich es nicht mehr hin.«
Plötzlich übermannte auch mich der Zorn. Es war, als sei ein Funke auf trockenen Zunder gefallen. Ich flammte auf, ehe ich mich's versah. Die Wut, die sich in mir aufgespeichert hatte, ließ meine Stimme flach und hart klingen.
»Nein«, rief ich, »ich bitte dich nicht um Verzeihung - nicht von Herzen. Ich laß mir nicht die Schuld zuschieben, wenn dir etwas mißglückt, weil du es einfach nicht schaffst. Deine Unzulänglichkeit kannst du mir nicht in die Schuhe schieben.«
»Ha, unzulänglich bin ich!« keifte sie. »Wer bist du eigentlich, daß du glaubst, mir Unzulänglichkeit vorwerfen zu können!« Sie drehte sich um, nahm ein Palettenmesser vom Tisch und kam drohend auf mich zu.
Ich lachte verächtlich. »Das wirst du ja wohl nicht wagen!« sagte ich.
Sie blieb abrupt stehen und blickte auf das Messer in ihrer Hand, dann auf mich. Sie warf das Messer zu Boden. Wut und Scham wechselten in rascher Folge auf ihrem Gesicht. »Du mieses Stück!« schrie sie. »Du gemeiner, niederträchtiger Hund!«
Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht strömte. Ich war kalt und bleich und starr vor Wut. In diesem Augenblick hätte ich sie umbringen können, aber wir standen nur da und starrten uns an, während die Sekunden verstrichen. Ich fühlte, wie mein Puls heftig in meiner Stirn pochte. Meine Hände waren zu Fäusten geballt.
Plötzlich öffnete ich sie. Feucht und zitternd hingen sie herab. Dann drehte ich mich um, riß Hut und Mantel von der Garderobe und stampfte zur Tür hinaus. Ich hörte, wie sie mir nachrief: »Frank, Frank, komm zurück!«
Ich wußte, daß ich zurückkommen würde. Aber in diesem Augenblick spürte ich eine wilde Freude, ihr weh zu tun. Sollte sie ruhig denselben Schmerz, dieselbe Demütigung empfinden wie ich!
Es war spät, als ich zurückkam, und zum erstenmal in meinem Leben war ich betrunken. Ich torkelte zum Tisch und nahm Gerros Porträt in die Hand. »Gerro, mein Freund«, flüsterte ich, »ich vermisse dich so sehr.« Dann ließ ich mich in meinen Stuhl fallen und sah das Bild an. »Mein Freund, sag mir doch, was ich tun soll. Ich fühle mich so verloren.«
Die Schlafzimmertür öffnete sich, und Marianne erschien im Neglige. »Marianne«, schluchzte ich und hielt ihr das Bild entgegen, »er will nicht zu mir reden.«
Marianne nahm mir das Bild aus der Hand und half mir auf. Sie führte mich ins Schlafzimmer und zog mich aus.
»Oh, Liebster«, flüsterte sie. »Warum hast du das getan? Es ist alles meine Schuld. Es ist mein verflixtes Temperament.«
Ich sah sie an. »Marianne«, sagte ich feierlich, »du bist eine Hexe, aber ich liebe dich.«
Dann rollte ich mich auf den Bauch und schlief ein.
Es war eine Thanksgiving-Party, von einem ihrer Freunde veranstaltet, die unsere Beziehungen ernstlich zu trüben begann. Die Zeit schlich langsam dahin, und wenn ich auch nicht sehr zufrieden war, so änderte ich doch nichts am Lauf der Dinge. Marianne hatte mich ganz mit Beschlag belegt, und ich wehrte mich nicht dagegen. Es gefiel mir sogar ganz gut. Ich liebte sie, liebte ihre
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