Die Moralisten
dich am liebsten wieder in die Gosse werfen, wo ich dich gefunden habe!«
Auf einmal explodierte etwas in mir, und ich versetzte ihr einen heftigen Schlag ins Gesicht. Sie fiel rücklings auf die Couch und rieb sich die Wange. Dann blickte sie zu mir auf, als könne sie das Geschehene nicht fassen.
Ich stand über ihr und sagte mit eiskalter Stimme: »Du holst Gerros Porträt zurück, oder ich verprügle dich, daß dir Hören und Sehen vergeht!«
Plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck; er wurde weich, und ihre Augen verschleierten sich. »Ich glaube, das brächtest du fertig!« sagte sie in dem mir vertrauten heiseren Ton. »Dann ist es wohl wirklich dein Ernst.«
»Mein voller Ernst«, sagte ich. »Ich will das Porträt haben.«
Sie schlag die Arme um meinen Hals und zog mich neben sich auf die Couch. »Mein Geliebter, mein starker, böser, dummer Liebster, selbstverständlich sollst du es haben. Ich gebe dir alles, was du willst.«
Sie küßte mich, und ihre Lippen waren glühende Flammen, die mich verzehrten. Am nächsten Morgen stand Gerros Bild wieder auf dem Tisch.
Während ich in dem großen Sessel in der Ecke des Zimmers saß und die Pfeife rauchte, die Marianne mir geschenkt hatte, kam ich zu einem Entschluß. Ich nahm die Pfeife aus dem Mund und betrachtete sie mit Abscheu. Etwas von der bitteren Soße war mir in den Mund gekommen. Ich wußte nicht, warum ich das verdammte Ding überhaupt rauchte. Ich hatte keinen Spaß am Pfeiferauchen, und ich würde mich nie daran gewöhnen. Aber Marianne wollte, daß ich Pfeife rauchte.
Die Pfeife in meiner Hand erschien mir wie ein Symbol - ein Symbol alles dessen, was ich geworden war. Hier saß ich, jung, kräftig, gesund, von dem Verlangen erfüllt, etwas zu leisten, und tat nichts. Es war nicht so, als wenn ich mich um Arbeit risse -ich war ebensowenig wild darauf wie jeder andere -, aber plötzlich fühlte ich meine Nutzlosigkeit. Ich war damit zufrieden, den Dingen ihren Lauf zu lassen, in den Tag hineinzuleben, in Mariannes Nähe zu sein, sie zu lieben und mich von ihr lieben zu lassen. Ich war damit zufrieden, weil ich zu faul war, mich zu etwas anderem aufzuraffen.
Unbewußt wanderte mein Blick zu dem Tisch, auf dem Gerros Porträt stand. Die Lampe war so geneigt, daß das Licht auf das Bild fiel und den Rest des Tisches im Dunkeln ließ. Sein starker, lebendiger Blick übte einen merkwürdigen Zwang auf mich aus. Ich schloß die Augen und konnte wieder seine Stimme hören: >Ich habe eine Arbeit zu leisten. Und alle die Dinge, die ich mir wünsche, werden erst dann für mich erreichbar sein, wenn ich diese Arbeit geleistet habe. Die Welt ist bereit, dir etwas zu geben, aber nicht das, was du ihr entreißen willst, sondern das, was du für sie tust.<
Mariannes Worte schreckten mich aus meiner Träumerei auf: »Woran denkst du, Frank?«
Ich lächelte und sah immer noch auf Gerros Porträt. »An ihn.«
Sie folgte meinem Blick. »Das habe ich mir gedacht. Auf deinem Gesicht lag ein Ausdruck, als wenn er mit dir spräche.«
»Vielleicht war es so. Vielleicht hat er mir einen guten Rat gegeben.«
Ich legte die Pfeife weg und zündete mir eine Zigarette an.
»Marianne«, sagte ich fest.
Sie erhob sich aus ihrem Sessel und kam zu mir herüber. Zu meinen Füßen ließ sie sich auf dem Boden nieder, umschlang meine Beine und preßte sich an mich. »Ja, Liebster?«
»Ich werde mir eine Arbeit besorgen.«
Sie stand auf und sah mich an.
»Jetzt glaube ich, daß er wirklich mit dir gesprochen hat«, sagte sie.
»Wie meinst du das? Hat er dir dasselbe gesagt?«
Sie nickte. »Oft. Wir hätten so glücklich sein können. Wir hatten alles, was wir uns nur wünschen konnten. Aber es befriedigte ihn nicht. Und du siehst ja, was ihm sein Idealismus eingebracht hat. Und jetzt willst du es genauso machen - unser Glück zerstören.«
Sie setzte sich in ihren Stuhl und fing an zu weinen.
Aber dieses Mal blieb ich hart.
Es war jedoch zu dieser Zeit nicht leichter, eine Arbeit zu finden, als vorher. Es wurde jetzt auch kälter, und ich kehrte durchgefroren und verärgert über meine Mißerfolge von meiner Arbeitssuche zurück.
Marianne hörte dann auf zu malen und kam zu mir.
»Glück gehabt?« fragte sie.
Ich schüttelte verneinend den Kopf.
»Warum quälst du dich dann damit herum? Das ist doch Kraft- und Zeitvergeudung! Du kannst es hier so gut haben. Wir
können es uns doch leisten.« Ich sah sie dann schweigend an. Aber nach und nach schwand die
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