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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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irrsinnig. Es war wirklich nicht der geeignete Augenblick, um sich in eine Frau zu verlieben, ganz gleich, wer es war. Oder etwa doch?
    Lange hatte ich, in Gedanken verloren, am Schreibtisch gesessen. Allison war hereingekommen, hatte das Licht angedreht und war wieder gegangen. Die Zeit verstrich unbemerkt. Ich war in den letzten paar Jahren einen großen Schritt weitergekommen. Alles, was ich mir je gewünscht hatte, hatte ich jetzt. Ich hatte Geld. Ich trug piekfeine Anzüge, aß gut, lebte gut. Was wollte ich mehr?
    Eine Frau? Du meine Güte, ich brauchte nur den kleinen Finger zu krümmen, und ich hatte das tollste Weib im ganzen Land! Nein, das war es nicht.
    Freunde? Vielleicht. Aber ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, daß ich sie mir nicht leisten konnte, wenn ich mein Ziel erreichen wollte. Für alles, was ich erreichte, mußte ich auch etwas aufgeben. Außerdem konnten mir Freunde nicht das geben, was ich hatte.
    Ich drehte meinen Stuhl zum Fenster und blickte hinaus. Über dem Fluß blinkten die Lichter von New York verlockend zu mir herüber. Es war eigentlich komisch. Denn es gab nichts jenseits des Flusses, wonach ich mich wirklich sehnte.
    Warum mußte Ruth mich ausgerechnet jetzt besuchen? Das hätte ich gern gewußt. Hatte Jerry sie wirklich geschickt? Ich hatte längst entdeckt, daß man sich bei einem solchen Unternehmen kein Risiko leisten konnte. Der erste Fehler war gewöhnlich auch der letzte.
    Immerhin, wenn Jerry nicht gerade diesen Auftrag gehabt hätte, wäre vielleicht alles anders gewesen.
    Das Telefon läutete. Ich nahm den Hörer ab. Es war Allison. »Ich habe den Bericht von Tanforan für Sie.«
    Ich sah auf meine Uhr. Es war beinahe zehn. Ich hatte nicht
    geglaubt, daß es so spät sei. Ich war müde und hungrig. »O. k.«, sagte ich, »wie lautet er?« Ich hörte ihm zu und legte dann den Hörer auf.
    Abgespannt blieb ich noch eine Weile sitzen. Eine Sache war noch zu erledigen, bevor ich aufbrechen konnte. Ich nahm Allisons Personalakte aus der obersten Schreibtischschublade, wo sie seit gestern lag, und überflog sie. Dann drückte ich auf den Summer, der Allison herbeirief.
    Er stand im Türrahmen. »Ja, Sir?«
    »Kommen Sie herein und setzen Sie sich«, sagte ich. »Ich möchte mit Ihnen sprechen.«
    Ein erstaunter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Ja, Sir.« Er setzte sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch.
    Ich hielt seine Akte so, daß er sie sehen konnte. »Ich habe soeben Ihre Personalakte studiert«, sagte ich. »Sie ist sehr ungewöhnlich.«
    Er straffte sich ein wenig auf seinem Stuhl. »Inwiefern, Sir?« fragte er. Obgleich er seine Stimme zu beherrschen versuchte, verriet er eine gewisse Bestürzung.
    »Sie können die Anrede >Sir< und >Mister< lassen, wenn wir allein sind, Allison. Jeder nennt mich Frank.«
    Er nickte. »Mein Name ist Edward. Ed.«
    Ich blickte ihn forschend an. Er war ein Dummkopf. So sehr er sich auch eine Antwort auf seine Frage wünschte, ließ er sie doch fallen, als er sah, daß ich nicht darauf einging. An diesem Nachmittag hatte mich gerade noch sein Kinn beeindruckt. Jetzt entdeckte ich weitere kraftvolle Züge in seinem Gesicht: die Form seines Mundes, seine Augen, blau und entschlossen, die tief gefurchte Stirn.
    »Diese Art Arbeit liegt Ihnen wohl nicht sehr, nicht wahr?« sagte ich. »Mit der Ausbildung, die Sie haben, erscheint es mir seltsam, daß Sie sich dazu herabgelassen haben, in einer solchen
    Firma und für einen Mann wie mich zu arbeiten.« Ich las laut aus der Akte. »Columbia Handelshochschule 1931, Columbia juristische Fakultät 1934.«
    »Der Mensch muß essen.« Er lächelte mich an. »Hunger macht nicht halt vor Rang und Würde und besonders nicht vor akademischen Graden.«
    Die Antwort gefiel mir. Ich ertappte mich dabei, daß ich den Mann plötzlich mochte, trotz allem, was ich über ihn wußte. Es war mir sympathisch, daß er gegen meine Behauptung, er sei unter sein Niveau gesunken, nicht heftig protestierte, etwa mit Beteuerungen wie: >O nein, Mr Kane, das hier ist gerade, was ich mir gewünscht habe!< oder ähnlichem dummen Geschwätz. Ich lächelte ihn ebenfalls an. »Erzählen Sie mir keine Märchen, Ed. Ihre Eltern scheinen doch in sehr guten Verhältnissen zu leben.«
    Er machte jetzt einen anderen Versuch, nachdem der erste mißglückt war. Seine Stimme klang ein wenig spöttisch, als er sich bemühte, den Eindruck zu erwecken, ich hätte ihn festgenagelt. »Ich wollte mal was anderes tun«, sagte

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