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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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fortzuschicken«, sagte ich.
    »Sie wartet aber immer noch, Sir.« Er blickte mir nur selten direkt ins Gesicht, aber jetzt tat er es. Überrascht stellte ich fest, was für ein festes Kinn er hatte. »Sie sagte, Sie hätten versprochen, sie vorzulassen.«
    Ich gab es auf. Mochte sie nur kommen, dann hatte ich die Sache hinter mir. »Na, schön«, brummte ich, »schicken Sie sie herein!«
    Ich stand auf, als Allison die Tür für sie offenhielt. Sie blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen und sah mich an. Sie trug ein rauchblaues Kostüm, das die Farbe ihrer blauen Augen zu betonen schien. Sie hatte einen offenen, direkten Blick. Ihr Mund war fest und ihr Kinn fast so kantig wie bei einem Mann.
    Sie wartete, bis die Tür sich hinter ihr schloß, bevor sie sprach. »Du bist es also doch.« Sie kam auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen.
    Ich ignorierte es. »Wen hattest du denn erwartet?«
    Sie ließ ihre Hand verlegen zur Seite fallen. Zweifel huschten über ihre Augen wie Schatten an der Wand. »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie mit einem Anflug von Nervosität in der Stimme. »Jedenfalls warst du damals im Krankenhaus. Ich hatte doch recht.«
    »Und was beweist das?«
    »Nichts«, sagte sie. »Ich dachte nur...«
    Wir waren stehengeblieben und blickten uns über den Tisch hinweg an wie zwei Boxkämpfer im Ring. »Was willst du eigentlich hier?« fragte ich.
    Ihre Nervosität war verschwunden. »Ich wollte dich sehen -wollte wissen, ob du der Mann im Krankenhaus warst - wollte wissen, ob du derselbe bist, der zu uns ins Haus gekommen
    war.«
    »Und jetzt hast du gesehen, wer ich bin. Bist du jetzt zufrieden?«
    Sie schob ihr Kinn vor. Sie hatte sich nicht sehr verändert. »Du bist immer noch derselbe wie damals - nur älter und härter.«
    Ich schwieg.
    Sie fuhr fort: »Ich hätte nicht kommen sollen. Marty und Jerry haben mich gewarnt -«
    Mit einem Satz sprang ich zu ihr hinüber und preßte ihr die Hand auf den Mund. »Schweig, du Idiot!« flüsterte ich barsch. »Machst du dir überhaupt nicht klar, daß ich dauernd beobachtet werde, daß jeder, der hierherkommt, beobachtet wird? Warum du deine Finger dazwischenstecken mußt, weiß ich wahrhaftig nicht. Kannst du dir nicht vorstellen, was mit ihnen passiert, wenn ich je mit ihnen in Verbindung gebracht werde?« Ich nannte keine Namen, aber sie wußte, wen ich meinte. Ich nahm meine Hand von ihrem Mund; sie war von ihrem Lippenstift verschmiert. Ich wischte sie mit meinem Taschentuch ab.
    Ruth war den Tränen nahe. Sie ließ sich in den Sessel sinken, der vor meinem Schreibtisch stand.
    »Das wußte ich nicht«, sagte sie. »Ich habe nicht daran gedacht.«
    »Das ist es ja gerade. Du überlegst nicht!«
    »Ich wollte nur helfen.«
    »Wem? Mir?« fragte ich spöttisch. »Du kannst mir auch gerade viel nützen! Und wenn man je einen Zusammenhang zwischen dir und ihnen entdeckt, dann sieht's schlimm aus. Das Beste, was du tun kannst, ist, zu verschwinden und nie wiederzukommen.«
    Sie hatte sich inzwischen wieder gefaßt und stand auf. Ihre Stimme klang jetzt kühl und formell. »Entschuldige bitte. Ich habe mich geirrt. Es war ein Fehler, daß ich auch nur den Versuch machen wollte, dir zu helfen. Du hast dich kein bißchen geändert. Niemand kann dir helfen. Du gehst eigensinnig deinen Weg, bis du am Boden liegst. Es tut mir leid, daß ich gekommen bin.« Sie ging zur Tür.
    Ich beobachtete sie. Ich hätte ihr gern gesagt, daß ich mich freute, sie zu sehen. Ich wollte ihr sagen, daß ich meine alten Freunde vermißte. Aber ich wagte es nicht. Vielleicht hatte Jerry sie geschickt, um etwas herauszubekommen. Man konnte es nicht wissen.
    »Es tut mir leid, daß ich so grob zu dir war«, sagte ich sanft.
    »Macht nichts«, erwiderte sie. »Ich hab's nicht anders verdient. Ich hätte es mir von vornherein sagen sollen.« Sie war bei der Tür angelangt. »Leb wohl.«
    Ich ging ihr nach und nahm lächelnd ihre Hand. »Jedenfalls danke ich dir, daß du gekommen bist.«
    Einen Augenblick lang standen wir Hand in Hand da und sahen uns in die Augen. Sie beugte sich ein wenig vor, und ich spürte einen leichten Kuß auf meinen Lippen. »Denk daran, was du vor langer Zeit zu mir gesagt hast: Jetzt sind wir Freunde.«
    »Leb wohl«, sagte ich und sah, wie sie die Tür schloß.
    Ich rief Allison an, um den Tanforan-Bericht zu hören, und während ich am Apparat darauf wartete, daß er die Zahlen vorlas, dachte ich über manches nach. Es war verrückt. Es war

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