Die Moralisten
die Hand auf dem Türgriff, während seine Augen unstet im Zimmer umherirrten.
Ich versetzte ihm noch einen Hieb. »Was ich noch sagen wollte, Silk«, bemerkte ich in aller Ruhe, »vergiß nicht, ich weiß, daß du einmal diesen Posten für dich haben wolltest - ich habe ein gutes Gedächtnis.«
Er nahm die Hand von der Türklinke und deutete damit auf mich. »Und vergiß du nicht«, entgegnete er in einem für ihn merkwürdigen Tonfall, »daß du niemals so weit gekommen wärst, wenn ich dir nicht die erste Chance gegeben hätte.«
»Das habe ich nicht vergessen«, sagte ich. »Deshalb rede ich ja so höflich mit dir.«
Er zögerte noch eine Weile an der Tür. Es sah so aus, als ob er noch etwas sagen wollte, aber nicht den nötigen Schneid dazu aufbrachte. Er ging hinaus und schloß die Tür hinter sich. Das Ärgerliche mit diesen Burschen war: sie hatten andere so lange herumgeschubst, daß sie vergessen hatten, wie es ist, wenn man das am eigenen Leibe spürt.
Ich nahm den Hörer vom Telefon. »Verbinden Sie mich mit
Alex Carson.« Carson war der Spitzenanwalt unserer Firma. Ich mußte ihm sagen, daß er die Idee, die ich während meiner Unterredung mit Fennelli hatte, ausführen sollte - nämlich Kaution stellen und Haftentlassung erwirken, sobald einer der Burschen gefaßt wurde.
Als ich mit Carson fertig war, wandte ich mich den Papieren auf meinem Tisch zu. Es gab sehr viel für mich zu tun: leichtes Leben bedeutet harte Arbeit.
Ein Mädchen kam mit dem Fünf-Uhr-Bericht herein und stand wartend da, während ich ihn las. Ich blickte zu ihr auf. »Ist der Bericht von Tanforan schon da?« fragte ich.
»Nein, Mr. Kane.«
Ich nahm den Hörer ab und ließ mich mit Joe Price verbinden. Joe Price war der Kontrolleur - ein Mann, der sich ausgezeichnet auf Zahlen verstand. Als ich ihn entdeckte, machte er hundert Dollar die Woche als Hauptbuchhalter bei irgendeiner lausigen kleinen Gesellschaft. Er hatte einen Griff in die Portokasse getan, und ich glaubte, daß ich ihn gebrauchen könnte. Daher halb ich ihm aus der Klemme, und er war es wert. Ich zahlte ihm die tausend Dollar die Woche nicht seiner schönen Augen wegen.
Er kam an den Apparat.
»Wie haben wir beim ersten Rennen in Tanforan abgeschnitten?« fragte ich. Tanforan lag in Kalifornien, und der Zeitunterschied betrug drei Stunden.
»Wir haben etwa achttausend eingebüßt«, erklärte er mit seiner nüchternen Buchhalterstimme, »und der gemeinsame Fonds ist um etwa dreißigtausend gesunken.«
»Wie sieht's für heute aus?«
»Wir können von Glück sagen, wenn wir nichts zubuttern.«
»O. k.«, sagte ich und legte den Hörer auf. Man konnte nicht jeden Tag das Rennen machen.
Die Sekretärin stand immer noch neben meinem Schreibtisch. Ich blickte fragend zu ihr auf. »Draußen wartet eine Dame, die Sie sprechen möchte - eine Miss Coville.«
Ich blickte verdutzt drein. »Wie ist sie am Empfang vorbeigekommen? Der Name ist mir unbekannt.«
»Ich weiß es nicht, Mr. Kane«, sagte das Mädchen. »Sie ist wohl einfach dran vorbeigegangen.« Sie nahm den Bericht vom Schreibtisch. »Sie behauptet, Sie kennen sie. Sie sei Martys Schwester.«
»O ja!« Und ob ich sie kannte! Was in aller Welt wollte sie hier? Ich zögerte einen Augenblick, und um meine Gedanken zu verbergen, fragte ich: »Ist Allison schon da, MissWalsh?«
»Nein.« Sie wandte sich zum Gehen. »Soll ich der Dame sagen, daß Sie keine Zeit haben?«
Ich zögerte wieder. Dann sagte ich: »Ja.«
Sie ging hinaus, und ich blickte nachdenklich auf meinen Tisch. Ich hatte den Wunsch verspürt sie wiederzusehen, aber es wäre nichts dabei herausgekommen. Sie würde mich wahrscheinlich als den Burschen aus dem Krankenhaus erkennen - selbst wenn ich an Gewicht zugenommen hatte und einen Zweihundert-Dollar-Anzug trug.
Ein paar Minuten später kam Allison herein. Allison war mein Nachtsekretär. Ich brauchte zwei - einen bei Tag und einen bei Nacht, und es war sehr schwierig, eine Frau für die Nachtarbeit zu bekommen. Ich war meistens noch ziemlich spät im Büro -bis alle Aufstellungen eingegangen waren. Darum hatte ich Allison engagiert.
»Was wünschen Sie?« fragte ich.
»Eine Dame wartet draußen, die Sie sprechen möchte, eine Miss Coville«, sagte er. Es lag ein merkwürdiger Blick auf seinem ziemlich weibischen Gesicht. Ich hatte ihn eigentlich nie gemocht. Zu einem Mann, der stenografieren konnte, hatte ich
einfach kein Zutrauen.
»Ich hatte Miss Walsh doch gebeten, sie
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