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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Du mußt gehen«
    »Ich glaube nicht, daß er mich verhaftet«, sagte ich lächelnd. Die Sache begann mir Spaß zu machen. Man spürt eine gewisse Erregung, wenn man über dünnes Eis schlittert.
    »Er tut es bestimmt«, sagte sie und trat dichter an mich heran. Ihr Parfüm rief schwache Erinnerungen in mir wach. Zuerst konnte ich es nicht unterbringen. Aber dann erinnerte ich mich -Marianne benutzte es auch. »Bestimmt tut er es«, wiederholte sie. »Du kennst ihn nicht.«
    »Meinst du?« sagte ich und dachte an die Unterhaltung, die wir vor einigen Wochen geführt hatten. »Ich werde es riskieren.«
    Sie stand jetzt beunruhigend nahe bei mir. Das Parfüm kribbelte mir in der Nase. »Bitte, bitte, geh.«
    Dann küßte ich sie. Eine Sekunde lang stand sie ganz still. Ich konnte den Schock der Überraschung an ihren Lippen spüren. Plötzlich aber waren sie warm und nachgiebig. Sie schlang die Arme um meinen Hals und zog meinen Kopf zu sich herunter. Nach Marianne hatte ich viele Frauen geküßt. Aber ich hatte ihre Küsse nie, wie bei Marianne, tief innen gefühlt. Dies jedoch
    - dies war anders. Dieser Kuß ähnelte Mariannes Küssen und tat es doch wieder nicht. Ich konnte es mir nicht erklären und versuchte es auch nicht. Er war zärtlich, warm, süß und leidenschaftlich.
    Sie löste ihre Lippen von den meinen. Ich hielt sie immer noch umschlugen. Ihre Augen waren wie große dunkelblaue Seen, in denen ich versank. »Jetzt geh, bitte«, flüsterte sie, während ihre Fingerspitzen mein Kinn streichelten.
    Ich lächelte und fühlte mich meiner selbst sicherer denn je. »So lasse ich mich nicht abspeisen«, flüsterte ich. »Vielleicht, wenn du mit mir kommen willst?« Ich ließ die Frage in der Luft schweben.
    Sie antwortete nicht.
    Ich tat, als wollte ich meinen Mantel ausziehen.
    »Na, schön«, flüsterte sie, »ich werde mitkommen. Aber warte draußen.«
    »Ich warte hier«, erklärte ich.
    Sie zögerte. »Meinetwegen, aber sei vorsichtig.« Sie drehte sich um und verschwand in dem Raum, aus dem sie gekommen war.
    Ich konnte ihre Erklärung durch die Türen hören und sah zwei Schatten, die sich der Tür näherten. Ich kehrte mein Gesicht zur Wand und betrachtete ein kleines Gemälde, das dort hing. Ein verstohlener Seitenblick zeigte mir, daß es Marty war. Er sah nicht zu mir herüber. Ich konnte nicht hören, was er sagte - er sprach sehr leise. Ich fing nur den letzten Satz auf, mit dem er sie zur Vorsicht mahnte. Sie trug einen Mantel über dem Arm, und ich sah, daß sie rasch zu mir herüberblickte. Sie lachte und schickte ihren Bruder zu der Party zurück. Dann kam sie auf mich zu.
    Ich lächelte. »Kann ich dir in den Mantel helfen?«
    Sie blickte mich ernst an. »Ich werde ihn draußen anziehen. Je eher du aus dieser Wohnung heraus bist, desto sicherer fühle ich mich.«
    Lachend hielt ich ihr die Tür auf.
    Der Fahrstuhlführer betrachtete uns mit merkwürdigen Blicken, und wir fuhren schweigend nach unten. Schweigend gingen wir zum Wagen. Ich öffnete den Schlag für sie und schloß ihn wieder. Dann ging ich auf die andere Seite und setzte mich ans Steuer.
    Plötzlich lächelte sie. »Der Wagen ist ziemlich zahm, nicht wahr?«
    Ich mußte wieder lachen. »Ich verstehe. Du hast einen großen, pompösen Straßenkreuzer erwartet. Tut mir leid, daß ich dich enttäuschen muß. Aber meinen eigenen Wagen konnte ich nicht benutzen. Er ist im Augenblick gefährlicher als eine Handgranate.«
    Ihr Lächeln verschwand rasch. »Du bist verrückt, daß du gekommen bist.«
    »Nicht verrückter als du!« sagte ich und ließ den Motor an. Als ich in die Park Avenue einbog, fragte ich: »Wohin?«
    »Wohin kannst du dich wagen?«
    Das war ein Problem. Sie hatte recht: New York war im Augenblick für mich nicht gerade der gesündeste Fleck auf der Welt. »Ich weiß den richtigen Platz. Dort bin ich sicher«, sagte ich.
    Sie wußte nicht, wohin ich sie brachte, bis wir auf der Brücke waren und auf Jersey zusteuerten. Ich fuhr in die Garage, und wir stiegen in meinen Wagen um.
    »Gefällt dir diese Kutsche besser?« fragte ich lächelnd.
    Sie nickte. »Das ist schon eher das, was ich erwartet hatte.« Und sie hatte recht. Es war ein großer, schwarzer zwölfzylindriger Cadillac-Sportzweisitzer. Ich fuhr zu meiner eigenen Behausung.
    Ich wohnte im Plaza-Hotel. Dort hatte ich eine Flucht von drei
    Zimmern und war sehr zufrieden damit. Der Hoteldiener hielt sie in Ordnung, schickte mir auf Wunsch meine Mahlzeiten herauf

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