Die Moralisten
tiefen Zug. »Du solltest dir ein Sparkonto einrichten«, sagte sie. »Das Geld wirst du eines Tages gut gebrauchen können - wenn du zur Universität gehst, meine ich.«
»Zum Teufel mit der Universität!« entgegnete ich. »Ich werde Buchmacher und mache einen Haufen Geld. Und du wirst mein Mädchen sein.«
»Möchtest du wirklich, daß ich dein Mädchen sein soll?« fragte sie leise.
»Klar!« sagte ich. Sie sah so hübsch aus, daß ich sie gern geküßt hätte. Aber es waren zu viele Menschen da.
Am Tag, bevor Jerry aufs Land fuhr, schaute er bei Keough herein. »Ich wollte, du kämst mit, Frankie«, sagte er.
»Es geht nicht«, sagte ich. »Meine Arbeit hier... «
»Ich weiß. Aber wenn du es dir noch anders überlegst, schreib mir. Ich werde dann meinen Vater bitten, alles Nötige zu veranlassen.«
»Das tu ich. Ich wünsch' dir einen schönen Sommer, Jerry.«
»Ich dir auch«, sagte er und blickte sich zweifelnd um.
»Auf Wiedersehen im September.«
Wir gaben uns befangen die Hand, und dann ging er. Ich sah ihm nach. Ich beneidete ihn in diesem Augenblick mehr als je. Es mußte herrlich sein, wenn man nur den Mund aufzumachen brauchte und alles bekam, was man sich wünschte. Dann machte ich mich wieder daran, die Toiletten zu säubern. Wenn ich damit fertig war, würde ich meine Kunden besuchen. Ich hatte Julies Rat befolgt und mir bei der Corn Exchange am Brodway in Höhe der 63. Straße ein Bankkonto eingerichtet. Nach zwei Wochen als Wettensammler hatte ich siebzig Dollar auf der Bank. Allerdings hatte mein Buch gestern einen Verlust von achtzig Dollar aufzuweisen gehabt, und ich mußte erst das Defizit aufholen, bevor ich wieder am Gewinn beteiligt war. Aber ich machte mir keine Sorgen darüber. Ich hatte rasch gelernt, daß ein gelegentlicher Rückschlag für den Buchmacher ebenso günstig war wie für den Spieler. Sie hatten dann das Gefühl, sie hätten eine Glückssträhne erwischt, und schlossen höhere Wetten ab. Und im Handumdrehen saßen sie wieder in der Patsche.
Auf meinem Weg zu den Kunden traf ich Marty und Ray, die schwimmen gehen wollten. Sie fragten, ob ich mitkäme, aber ich sagte, ich hätte noch zu arbeiten. Marty lud mich zu sich nach Hause ein, und ich versprach, am Abend vorbeizuschauen, falls ich nicht zuviel zu tun hätte. Bei meinen Besuchen an diesem Tag machte ich die größte Tageseinnahme, die ich bisher gehabt hatte.
Auf dem Rückweg kam ich am Pier bei der 54. Straße vorbei, wo die Jungen schwammen. Ich lehnte mich an einen Pfahl und sah zu, wie sie sprangen und schwammen, planschten und schrien. Ich hätte mich schrecklich gern in das Getümmel gemischt, aber ich mußte unbedingt die Wetten zu Keough bringen.
Eine Stimme hinter mir sagte: »Ich wette, Frankie, daß du da gern mitmachen würdest.«
Ich drehte mich um. Es war Silk Fennelli. »Aber nein, Sir... ich meine... ich...«
Er lächelte. »Schon gut, Junge, ich verstehe. Ich weiß, wie dir zumute ist. Du würdest gern dabeisein. Aber es geht nicht. Du hast eine Verpflichtung - dir selbst gegenüber. Diese Jungen da denken nicht weiter als bis zur nächsten Minute, aber du bist anders. Du willst vorwärtskommen. Du willst es zu was bringen. Du willst ein großes Tier werden. Und du lernst jetzt, daß du für alles, was du bekommst, irgend etwas aufgeben mußt - etwas, was du gern haben oder tun möchtest. Du mußt dich entscheiden, welchen Weg du gehen willst. Ich war früher genauso wie du.«
»Das stimmt, Mr. Fennelli«, sagte ich. »Ich denke anders als die Jungen da.«
»Das ist recht«, sagte er und legte mir die Hand auf die Schulter. »Wohin gehst du jetzt?«
»Zuerst zu Keough«, sagte ich.
»Steig in meinen Wagen. Ich bin gerade auf dem Wege dahin. Außerdem kannst du meinen Schuhen eine von deinen Spezialbehandlungen geben.«
Als wir vor Keoughs Billardsaal hielten und ich mit dem großen Mann aus dem Wagen stieg, war ich sehr stolz.
Auf der Fahrt hatte Fennelli mich gefragt, wie ich zurechtkäme, und ich erzählte ihm von meinen Erfolgen. Er fand es großartig.
Im Lokal gab ich Jimmy die Wettscheine und das Geld, holte meinen Schuhputzkasten und bearbeitete Mr. Fennellis Schuhe.
»Der Junge ist auf Draht«, sagte Fennelli zu Jimmy.
»Heller Junge!« sagte Jimmy und sah so stolz aus, als ob er mein leiblicher Vater sei.
Als Fennelli mich für das Schuhputzen bezahlen wollte, weigerte ich mich, das Geld zu nehmen. Es war ein halber Dollar. »Los, Junge, nimm's«, sagte er.
Ich merkte,
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