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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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daß er nicht lockerlassen würde. »Spielen wir Kopf oder Schrift«, sagte ich. »Doppelt oder nichts.«
    »O. k«, sagte er und warf die Münze in die Luft. »Du rufst aus.«
    Ich beobachtete die Münze, wie sie kreiselnd herunterkam. Als sie fast am Boden war, rief ich: »Schrift.«
    Es war Schrift. Fennelli steckte die Münze ein und gab mir einen Dollar. »Du wirst's schon schaffen, Frankie.« Er lächelte.
    »Ja, Sir«, sagte ich. »Vielen Dank.«
    Keough lachte. »Hol uns ein paar Flaschen Bier, Frankie.«
    Als die beiden Männer getrunken hatten, sagte Fennelli: »Bist du mit der Abrechnung von letzter Woche fertig?«
    »Klar, Silk!« sagte Keough. »Du kennst mich doch - immer prompte Bezahlung.« Er nahm eine Rolle Geldscheine aus der Tasche, zählte sechshundert Dollar ab und gab sie Fennelli. Der steckte das Geld in die Tasche, ohne nachzuzählen.
    Ich machte mich wieder an die Arbeit. Als Fennelli den Laden verließ, winkte er mir zu.
    Der Sommer schleppte sich dahin. Er war wie jeder Sommer in New York: heiß, dumpfig-schwül und ermüdend; Menschen, die erschöpft von der Arbeit zurückkehrten, ihr Gesicht eine Maske von Müdigkeit; johlende Kinder auf der Straße; Parks und Strände überlaufen; schreiende Schlagzeilen über das Wetter; keine Schule; Lärm, der durch geöffnete Fenster drang.
    Ein Sommer wie viele Sommer in New York. Aber nicht für mich. Mir gefiel er. Zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich frei und keinem verpflichtet. Es war Ende August. Ich hatte siebenhundert Dollar auf der Bank. Ich hatte ein Mädchen. Ich hatte zwei neue Anzüge. Ich aß in Restaurants. Ich hatte immer Geld in der Tasche. Ich konnte gehen, wohin ich wollte, und tun und lassen, was ich wollte. Ich war jemand, und ich lebte ein gutes Leben. Der Gedanke, bald wieder in die Schule zu müssen, behagte mir allerdings gar nicht. Ich verdiente zuviel Geld. A>er es würde mir gar nichts anderes übrigbleiben. Ich war noch nicht alt genug, um die Schule zu verlassen. Ich machte Pläne, wie ich meine Tätigkeit als »Buchmacher« auch während der Schulzeit fortsetzen könnte. Ich konnte mich für den Morgenunterricht in der Oberschule eintragen lassen. Dann würde ich Zeit haben, die Wetten einzusammeln. Damit sah die Zukunft schon rosiger aus. Ich dachte gönnerhaft an die anderen Kinder im Waisenhaus und in der Nachbarschaft. Ich war tatsächlich auf dem Weg nach oben.
    Es war an einem Spätnachmittag, am Samstag, dem 22. August. Ich hatte gerade meine wöchentliche Abrechnung mit Keough hinter mir und hatte wieder vierundachtzig Dollar in der Tasche. Der Billardsaal war voller Kunden, die fluchten, lästerten und lärmten. In wenigen Minuten würden die meisten nach Hause gehen und sich für ihre sonnabendlichen
    Rendezvous, Parties und Tanzvergnügen in Schale werfen. Wir hatten kein Bier und keine kalten Getränke mehr. Keough blickte mich über den Tresen hinweg an und sagte: »Ich bin müde. Ich glaube, ich werde früh dichtmachen.«
    »Soll ich schon Feierabend ankündigen?« fragte ich.
    Er nickte.
    Ich ging zu den Tischen und rief: »Feierabend, Feierabend!«
    In wenigen Minuten war der Raum leer. Keough zählte das Bargeld und steckte es in die Tasche. »Gehen wir!« sagte er.
    Während Keough die Tür abschloß, fuhr Fennellis Wagen vor. Silk stieg aus und gesellte sich zu uns. »Du machst heute aber früh Schluß, Jimmy.« Er lächelte.
    »Ja«, sagte Keough. »Ich fahre aufs Land und besuche meine Frau.«
    »Fein«, sagte Fennelli. »Hast du was für mich?«
    »Klar, Silk. Du kennst mich doch - immer parat!« Er griff in die Tasche und holte seine Geldscheinrolle hervor, die mit einem dicken Gummiband zusammengehalten war. Sie standen am Türeingang, und ich schlüpfte zur Seite, um ihnen Platz zu machen. Dabei kehrte ich der Straße den Rücken.
    Das Surren eines Motors kam näher. Plötzlich blickten Silk und Keough auf und starrten auf etwas, was hinter mir war. Keough wurde blaß, und das Geld fiel aus seinen Händen auf die Stufen.
    Ich bückte mich, um es aufzuheben, und sagte: »Sie sollten nicht so sorglos mit Ihren...« Da hörte ich die Revolverschüsse. Keough hielt sich die Hände vor den Bauch und glitt langsam zu Boden. Ich starrte Fennelli an. Er hatte die Hände gegen die Brust gepreßt und sank nach vorn. Blut spritzte mir entgegen. In diesem Augenblick setzte ich mich in Bewegung. Ohne zu überlegen. Ich rannte einfach, erst mühsam auf allen vieren, dann wie wahnsinnig, ohne mich

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