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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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entspannte, begann ich zu zittern. Es war, als ob mein Körper jetzt, wo ich nichts mehr zu tun hatte, die Kälte viel stärker spürte.
    Ein paar Minuten später öffnete sich die Tür, und der Neger, der neben mir gearbeitet hatte, kam herein. Ein farbiger Junge etwa von meiner Größe folgte ihm. Da der Flur ziemlich dunkel war, sahen sie mich zunächst nicht.
    Der Ältere sagte: »Was hat Mutter mir denn zum Essen geschickt, Sam?«
    »Heiße Suppe, Wurstbrote und Kaffee«, erwiderte der Junge.
    »Mensch, hab' ich einen Hunger!« sagte der ältere Neger. »Komm, wir setzen uns da auf die Stufen.«
    Sie kamen auf mich zu und blieben stehen, als sie mich auf der Treppe entdeckten.
    »Was machst du denn hier?« fragte der ältere Neger.
    »Ich rauche«, erwiderte ich.
    »Willst du nichts essen?«
    »Ich hab' keinen Hunger«, sagte ich.
    Sie setzten sich neben mich auf die Stufe. Der Mann riß eine
    Papiertüte auf. Er nahm zwei Milchflaschen - eine halb mit Suppe und die andere halb mit Kaffee gefüllt - und mehrere belegte Brote heraus. Der Geruch der heißen Suppe machte mir den Mund wäßrig.
    »Mußt du schwer arbeiten?« fragte der Junge.
    »Nein, Sam«, sagte der ältere Neger. Dann wandte er sich an mich: »Das ist mein Bruder. Er hat mir mein Essen gebracht.«
    »Prima«, sagte ich.
    Er begann die Suppe aus der Flasche zu trinken. Er hielt die Flasche an die Lippen, lehnte den Kopf zurück, und die Suppe schien ihm in großen Zügen die Kehle hinunterzurinnen. Ich setzte mich einige Stufen höher, um ihm mehr Platz zu machen, und schaute zu ihm runter. Sein Bruder beobachtete mich, und ich versuchte, in eine andere Richtung zu blicken, um ihn nicht essen zu sehen. Die Zigarette verbrannte mir die Finger, und ich warf sie über das Geländer, ohne sie auszudrücken.
    Als habe sich der jüngere mit dem älteren Mann heimlich verständigt, drehte sich der ältere auf einmal um und sah mich an. »Mann, ich bin gar nicht so hungrig, wie ich dachte«, sagte er zu mir und dann zu dem jüngeren: »Mutter hat mir zuviel Suppe geschickt. Ich schaff das gar nicht.« Dann wandte er sich wieder mir zu: »Willst du sie nicht essen? Es wäre schade, wenn sie umkäme.«
    Ich blickte ihn an, ohne etwas zu sagen. Dann nahm ich ihm die Flasche aus der Hand. »Danke«, murmelte ich und begann die Suppe zu trinken. Ich weiß nicht, was für eine Suppe es war, aber sie schmeckte gut. Eine Weile später reichte er mir ein Sandwich nach hinten, ohne sich umzusehen. Als ich ihm das Brot aus der Hand nahm, war es, als hätten wir ein heimliches Abkommen getroffen. Er schien instinktiv zu erraten, in was für einer Lage ich war, und mit dem Takt der einfachen Leute bot er mir Hilfe an, ohne daß es mir peinlich wurde. Ich äußerte keinen weiteren Dank. Es war unnötig. Er erwartete keinen.
    Als wir den Kaffee ausgetrunken hatten, langte ich in meine Tasche und nahm drei Zigaretten heraus. Nachdem ich mir selbst eine in den Mund gesteckt hatte, bot ich den andern beiden eine an.
    Der Junge schüttelte ablehnend den Kopf. Sein Bruder erklärte mir: »Er geht zur Oberschule und gehört zur Leichtathletikmannschaft.« Er selbst nahm die angebotene Zigarette.
    Ich zündete erst seine, dann meine Zigarette an, und dann lehnten wir uns zurück und rauchten.
    »Schon lange in New York?« fragte der Neger.
    »Nein, bin erst gestern angekommen.«
    »Verdammt kalt heute!«
    »Ja«, grunzte ich.
    »Ich bin Tom Harris.«
    Ich nannte ihm meinen Namen, und wir saßen eine Weile schweigend da. Dann hörten wir den schrillen Ton einer Pfeife.
    »Das gilt für uns«, sagte Tom. »Also auf!« Als ich aufstand, sagte er zu Sam: »Gib ihm deine Jacke. Du bist heute den ganzen Tag im Haus und brauchst sie nicht. Ich bring' sie dir heute abend wieder mit.«
    Wortlos zog Sam seine Jacke aus und reichte sie mir. Ich zog sie an und war so gerührt, daß ich kein Wort des Dankes hervorbringen konnte. Ich ging einfach vor ihm zur Tür hinaus und dann zu unserer Gruppe, die sich schon in der Mitte des Blocks versammelte.
    Der Nachmittag verging etwas rascher als der Morgen. Am Abend, gerade ehe wir die Arbeit niederlegten, fragte mich der Farbige: »Wo wohnst du?«
    »Ich hab' noch keine Unterkunft.«
    »Willst du nicht für ein paar Nächte mit zu mir kommen -wenigstens bis du deinen Lohn kriegst?«
    »Du hast doch sicher keinen Platz«, wandte ich schwach ein.
    »O doch! Wir haben 'ne große Wohnung.«
    Und dann war plötzlich dieser Tag herum. Wir folgten dem

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