Die Moralisten
Versammlung kamen. Elly war im Nebenzimmer eingeschlafen, und ich saß am Küchentisch und versuchte, bei dem trüben Licht die Zeitung zu lesen.
Sam und Tom gesellten sich zu mir. Sam fragte seine Mutter: »Möchtest du etwas Heißes trinken?«
»Nein«, sagte sie. »Aber vielleicht möchten Tom und Frankie etwas Kaffee. Es steht noch welcher auf dem Ofen.«
Aber wir wollten keinen mehr, sondern legten uns sofort schlafen.
Am nächsten Morgen ging ich frühzeitig auf Arbeitsuche, aber ohne Erfolg. Selbst die Arbeiten, die neun und zehn Dollar die Woche einbrachten, waren nicht zu haben. Gegen sieben Uhr kehrte ich in Toms Wohnung zurück und berichtete, wie es mir ergangen war.
»Du wirst schon noch was kriegen«, sagte Mrs. Harris. »Mach dir keine Gedanken, Junge, der Herr wird schon sorgen.«
Ich lächelte und sagte: »Vielen Dank, Mutter Harris, aber der Herr kann kaum genug für euch beschaffen, und noch einer extra wird doch wohl etwas zuviel für euch werden.«
»Rede nicht so, Junge«, sagte sie. »Noch haben wir genug für alle.«
Drei Tage lang lebten wir von Maisgrütze. Maisgrütze ist ein gutes, aber ein verdammt langweiliges Essen. Am Ende der Woche hatte ich immer noch keine Arbeit und nur noch drei Dollar in der Tasche.
Samstag abend fragte Tom: »Möchtest du mit zu einer Party kommen?«
»Sicher«, sagte ich. »Aber vielleicht...«
»Komm mit«, unterbrach er mich. »Für fünfundzwanzig Cents kann man zu dieser öffentlichen Party gehen, und dafür gibt es nicht nur Musik, sondern auch etwas zu essen und zu trinken.« Er packte mich am Arm. »Und, Mann«, sagte er, »da gibt's Mädchen - prima, sag' ich dir.«
Ich lächelte. »Ja, aber... «
»Kein Aber«, sagte er. »Da kommen auch Weiße hin. Wahrscheinlich hält man dich für einen Playboy, der Harlem kennenlernen will.«
Eine Stunde später zogen wir unsere Mäntel an und gingen. Sam saß am Tisch und las.
»Das ist ein heller Junge, mein Bruder«, sagte Tom. »Er ist der Beste in seiner Klasse. Er geht in die Haaren-Oberschule unten in der Stadt.«
»Ja«, sagte ich, »ich habe den Eindruck, daß er immer am Lernen ist.«
Wer kennt die Mischung von Gin und Bier? Ein Glas Bier mit zwei Schuß Gin - das war's, was sie auf der Party tranken. Ich glaube, ich war schon nach dem ersten Glas betrunken und konnte kaum sagen, was eigentlich passierte. Es waren ungefähr dreißig Leute in dem Raum auf der St. Nicholas Avenue. Ein Mann zupfte an den Saiten einer Gitarre. Mehrere weiße Männer
und Mädchen waren da. Sie schienen sich gegenseitig zu meiden und sprachen nur mit den Farbigen. Ich redete eins der weißen Mädchen an, aber sie wandte sich ab und sprach mit einem gutaussehenden Neger.
Gegen drei Uhr war die Party zu Ende. Tom hatte so schwer geladen, daß er kaum gehen konnte. Ich legte seinen Arm um meine Schulter und half ihm die Treppe hinunter und dann nach Hause. Die kalte Luft machte meinen Kopf etwas klarer, und als wir endlich zu Hause anlangten, war ich wieder nüchtern.
Tom sang und gluckste voller Seligkeit, als wir die Stufen zur Haustür emporstiegen und das Haus betraten. Doch auf der Treppe sackte er bewußtlos zusammen. Das Licht im Flur brannte nicht. Ich riß ein Streichholz an, und dann hörte ich, wie sich in der Nähe des Treppengeländers etwas bewegte.
Elly stand dort mit einem Weißen von etwa vierzig. Beide sahen mich an. Der Weiße sah nervös und ängstlich aus. Sein Mantel und sein Jackett waren offen. Er ging auf die Haustür zu.
Elly krallte sich in seine Schultern. »Gib mir die anderen fünfundzwanzig Cents!« sagte sie.
Er faßte in die Tasche, gab ihr eine Münze und eilte aus der Tür.
Sie kam ganz ruhig die Treppe herauf und beguckte sich Tom.
»Ist er fertig?« fragte sie.
»Ja, hilf mir, ihn nach oben zu kriegen. Ich kann ihn nicht heben.«
Zuammen schleppten wir ihn in die Wohnung und warfen ihn aufs Bett. Es war beinahe halb vier. Sam schlief, und aus dem Nebenzimmer kam das Schnarchen der Mutter. Ich ging wieder in die Küche.
Elly kam hinter mir her. Ich blickte sie an. »Du wirst mich doch nicht verraten?« fragte sie.
»Nein, ich werde dich nicht verraten.« »Irgendwie müssen wir zu etwas Geld kommen«, sagte sie verzweifelt. »Sam verdient nur $ 1.50 die Woche im Laden und die Trinkgelder, und der Lebensmittelgutschein von der Wohlfahrt lautet auf $ 13.50 für zwei Wochen. Das ist einfach nicht genug. Wir müssen mehr Geld herbeischaffen.«
»Wie erklärst du es
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