Die Moralisten
Frankie«, flüsterte Terry. »Sie bringen ihn um!«
Ich reagierte automatisch auf ihre Bitte. »Gerro, warte einen Augenblick. Es hat keinen Sinn, daß du runtergehst. Laß uns erst die Frauen fortschaffen.«
Er blieb an der Tür stehen und kam dann zum Fenster.
»Bleib, wo du bist!« sagte ich.
Er blieb wie angewurzelt stehen und blickte mich fragend an.
Ich ging wieder ans Fenster. »Wenn wir ihn euch ausliefern«, rief ich auf die Straße hinunter, »laßt ihr dann die anderen raus?«
Ich sah, wie ein paar Männer die Köpfe zusammensteckten. »O. k.!« rief jemand nach oben.
»Also gut!« brüllte ich. »Zuerst kommen die Frauen, dann die Männer. Wenn alle fort sind, könnt ihr raufkommen und ihn holen.«
»Nein!« schrie jemand. »Du kommst als letzter mit ihm raus.«
»O. k.«, brüllte ich zurück.
»Frankie, das kannst du nicht machen. Du kannst ihn denen nicht einfach ausliefern«, flüsterte Terry.
»Sei still«, sagte ich, ebenfalls flüsternd. »Sie kriegen ihn
nicht! Wenn du draußen bist, ruf die Polizei an. Dann geh nach Hause und bleib dort, bis ich mich bei dir melde.« Mit lauter Stimme fuhr ich fort: »Ihr kommt alle raus. Keine Angst! Geht einzeln nach unten. Nehmt die Hüte ab, damit sie sehen können, daß ihr weiß seid. Geht nach Haus und bleibt dort bis morgen früh. Und redet mit niemandem. Geht einfach raus und verschwindet!«
Einer der Männer protestierte: »Wir können Gerro nicht im Stich lassen.«
»Das laß nur meine Sorge sein«, sagte ich. »Jetzt macht, daß ihr rauskommt. Ihr wollt doch nicht, daß den Frauen was passiert, wie?«
Sie bewegten sich auf die Tür zu. Eine Stimme tönte von unten herauf: »Bringt den Nigger ans Fenster, damit wir sehen können, daß er nicht abhaut.«
Das machte meinen Plan zunichte, denn ich hatte vorgehabt, Gerro übers Dach entkommen zu lassen. Jetzt wollten sie ihn sehen, und das würde uns aufhalten. Gerro wollte zum Fenster.
Ich versperrte ihm den Weg und rief Joey zu, er sollte aufs Dach gehen und die Dachluke öffnen, damit wir sofort raus konnten. Dann sollte er wieder runterkommen und mit den anderen nach draußen gehen. Er nickte und verschwand.
»Los jetzt«, sagte ich zu den anderen, »geht einzeln nacheinander hinaus und beeilt euch nicht. Wir müssen möglichst viel Zeit gewinnen.«
Sie verließen langsam nacheinander das Zimmer. Es gab kein Durcheinander. Ruhig und stumpf gingen sie nach unten und dann auf die Straße. Ich schaute aus dem Fenster und sah, wie die ersten das Gebäude verließen. Sie eilten am Rande der Menge entlang, gingen bis zur Ecke und verschwanden dann.
Jemand in der Menge brüllte: »Wo ist der Nigger?«
Ich winkte Gerro mit der Hand, und er trat ans Fenster. Sein
Gesicht war eine harte Maske. Er preßte die Lippen fest aufeinander. Wenn er Angst hatte, so merkte man es ihm jedenfalls nicht an. Ich sah Terry bis zur Ecke gehen. Dort blieb sie stehen, winkte uns noch einmal zu und entschwand unseren Blicken. Ein Stein flog durchs Fenster. Ich duckte mich instinktiv. Der Stein traf Gerro im Gesicht unterhalb des Backenknochens. Aber er rührte sich nicht.
Ich blickte ihn sprachlos an. Seine Backe war durch den Stein aufgerissen und blutete. Er wandte nicht den Kopf und verriet durch nichts, daß der Stein ihn getroffen hatte. Das Blut lief ihm über Wange und Hals und färbte seinen sauberen weißen Kragen rot. Es war ein stumpfes, nasses Rot. Ich gab ihm mein Taschentuch. Er drückte es so gleichgültig auf sein Gesicht wie ein Friseur ein heißes Handtuch. So stand er am Fenster und blickte auf die Menge hinab.
»Kennst du jemanden?« flüsterte ich. »Ja«, sagte er, und seine Stimme zitterte ein wenig. »Ich kenne die meisten.«
Einige dieser Halunken waren wahrscheinlich irgendwann mal Mitglieder des Klubs gewesen, dachte ich, aber ich sagte nichts. Ich hoffte nur, daß Joey zurückkäme, bevor die letzten der Gruppe draußen waren.
»Frank!« ertönte seine Stimme von der Tür her.
Ich wandte meinen Kopf nicht vom Fenster ab. »O. k.?« fragte ich.
»O. k.«, flüsterte er.
»Hau ab!« sagte ich, immer noch aus dem Fenster schauend. »Vergiß nicht, als letzter rauszugehen.«
Ich hörte, wie er auf die Treppe zuging. »Mach dich bereit, schleunigst loszurennen«, sagte ich zu Gerro. »Komm mir nach, sobald du Joey herauskommen siehst.«
Er antwortete nicht.
Noch ein paar Steine flogen ins Zimmer. Ich sprang zur Seite, doch Gerro blieb regungslos stehen. Dann sah ich Joey aus
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