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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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nicht so wild herumlaufen lassen - wie diese Terry zum Beispiel. Ich wette, daß sie die ziemlich oft umlegen, da oben.«
    Das brachte mich auf die Palme. Ich wollte ihm gerade hitzig antworten, aber ich beherrschte mich rechtzeitig und grinste. »Sie gehört zu der Sorte, die jeder gern vögeln möchte - wenn er könnte.«
    In diesem Augenblick kam eine Kundin herein, und Harry wandte sich ab, um sie zu bedienen. Ich machte mich ans Auspacken von Waren, und wir kamen nicht mehr auf dieses Thema zurück.
    Die Monate gingen dahin. Sam gab seine Arbeit bei uns auf und siedelte zu Verwandten nach Hartford über. Ich wurde richtiggehender Verkäufer, und mein Gehalt wurde auf fünfzehn Dollar die Woche erhöht. Die Sonntage bei Otto warfen auch was ab. Ich sparte ein paar Dollar, kaufte mir neues Zeug, nahm ein wenig an Gewicht zu, fühlte mich etwas wohler und war meinen Mitmenschen freundlicher gesonnen.
    Eines Abends, etwa eine Woche nach dem Thanksgivingfest, rief Gerro Browning mich auf der Straße an, als ich den Laden verließ. Ich wartete, bis er mich eingeholt hatte, und dann gingen wir zusammen in die Stadt.
    »Wo wohnen Sie, Frank?« fragte er.
    »Im Mills-Hotel«, sagte ich und wunderte mich, warum ihn das interessierte.
    »Wohin gehen Sie jetzt?«
    »Ich gehe essen und dann nach Hause.«
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Ihnen esse?«
    »Durchaus nicht«, sagte ich ein wenig überrascht. »Im Gegenteil - dann habe ich mal jemanden, mit dem ich mich unterhalten kann.«
    Er betrachtete mich neugierig. »Haben Sie keine Angehörigen?« Ich schüttelte den Kopf.
    »Wie alt sind Sie?«
    »Zweiundzwanzig« sagte ich und sah ihn fragend an. »Hören Sie, ich habe nichts gegen Ihre Fragen, aber vielleicht können Sie mir sagen, woher dieses plötzliche Interesse kommt.«
    Er lachte kurz auf. »Ich weiß selber nicht, woher. Sie interessieren mich einfach.«
    »Warum gerade ich? Ich bin keineswegs anders als die anderen.«
    »Glauben Sie nicht?«
    »Nein.«
    Wir betraten eine Imbißstube, gingen mit unserem Tablett an der Theke entlang, suchten unser Essen zusammen und setzten uns an einen Tisch.
    Einige Minuten aßen wir schweigend. Dann sagte Gerro plötzlich: »Ihre Haare, zum Beispiel.«
    Instinktiv hob ich die Hand an die Schläfe. »Was ist mit meinen Haaren? Sie sind doch gekämmt, oder nicht?«
    Er lachte. »Das meine ich nicht. Sie sind anders. Sie haben mich doch vorhin gefragt, nicht wahr?«
    »Sie sind eigentlich nicht anders als die Haare anderer Leute.«
    »Oh, doch.« Er lächelte. »Sie sind schon etwas grau nicht sehr, aber man kann es sehen. Und Sie sind etwas zu jung, um graues Haar zu haben.« »Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, Sie sind nicht der Typ dafür. Aber Sie haben viel durchgemacht.«
    »Woran wollen Sie das erkennen?«
    »Vor allem an Kleinigkeiten. An der Art, wie Sie sich benehmen. Sie scheinen abseits zu stehen und die anderen mit einem leicht amüsierten    oder    überlegenen    Ausdruck    zu
    betrachten. An der Art, wie Sie reden - positiv, kurz und bündig, immer bestimmt, niemals    vage.    An der Art,    wie    Sie    sich
    bewegen, auf dem Rande Ihrer Füße sozusagen, bereit, nach dieser oder jener Richtung zu springen - wie ein Tier, stets vorsichtig, immer auf der Hut.« Er schob eine Gabel voll Essen in den Mund. »Wie Sie sich zum Beispiel hier im Restaurant hingesetzt haben - mit dem Rücken zur Wand. Wie Sie instinktiv jeden ansehen,    der    hereinkommt    oder    an    uns
    vorbeigeht. Nach wem halten Sie Ausschau? Und vor was sind Sie auf der Hut?«
    Ich lächelte. »Das ist mir noch nie bewußt geworden«, sagte ich. »Ich bin vor nichts auf der Hut. Wahrscheinlich eine Angewohnheit.«
    »Angewohnheiten haben    ihre    Ursachen«, meinte    er.    Wir
    hatten inzwischen unsere Mahlzeit beendet, und ich stand auf, um unseren Kaffee zu holen.
    Als ich zurückkam, saß er zurückgelehnt auf seinem Stuhl und rauchte, während er geistesabwesend ein kleines Anhängsel, das an seiner Uhrkette befestigt war, um den Finger drehte.
    Ich stellte den Kaffee auf den Tisch. »Was ist das?« fragte ich und deutete auf die Uhrkette.
    Er nahm die Uhr aus seiner Tasche und reichte sie mir. »Das ist ein Phi-Beta-Kappa-Schlüssel.«
    Ich drehte ihn in der Hand um. Er hatte eine merkwürdige Aufschrift. »Das ist der seltsamste Schlüssel, den ich je gesehen habe«, sagte

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