Die Moralisten
gleicher Höhe. Sie lachte erregt und fuhr dichter an ihn heran. Zwischen ihren Autos waren jetzt keine zehn Zentimeter mehr Platz.
Er trat aufs Gaspedal und wollte sie überholen. Sie lachte wieder und gab auch Gas. Er gewann nicht einen Zentimeter Vorsprung. Sie fuhr noch dichter an ihn heran. Da war das Geräusch von Metall, das auf Metall trifft. Er lenkte zur Seite, um ihr Platz zu machen. Jetzt war er nur noch mit zwei Rädern auf der Straße. Sie trat das Gaspedal durch, und ihr Wagen beschleunigte so rasch, daß es aussah, als habe er angehalten.
Sie hatte längst gewendet, als er sie passierte, und fuhr schon wieder in die entgegengesetzte Richtung. Er warf ihr im Vorbeifahren einen unheilverkündenden Blick zu.
Sie wartete auf das nächste Zeichen des Starters und schoß dann sofort davon. Jetzt fuhren sie im toten Winkel des Bürgersteigs aufeinander los. Lächelnd trat sie das Gaspedal bis aufs Bodenblech durch. Das Steuer lag ruhig in ihren Händen.
Als sie aufsah, war sein Wagen bedrohlich nahe. Ihr Lächeln erstarrte. Sie war fest entschlossen, nicht auszuweichen. Um keinen Preis. Im allerletzten Moment sah sie ihn das Steuer herumreißen. Sein Wagen raste an ihr vorbei, sein Gesicht war kalkweiß gewesen, und er hatte laut geflucht. Sie bremste und beobachtete seinen Wagen im Rückspiegel. Er schlingerte und schleuderte wie wild, aber am Ende brachte er ihn unter Kontrolle und konnte anhalten. Sie wendete und fuhr zu ihm zurück.
Er war ausgestiegen, und die Jungen umringten ihn. Sie starrten auf den linken hinteren Kotflügel, der halb abgerissen herunterhing. Sie hatte nicht einmal gemerkt, daß sie sich beim Vorbeifahren gestreift hatten.
Er sah ihr ins Gesicht. »Du bist völlig übergeschnappt!«
Sie lächelte und rutschte auf den Beifahrersitz. »Willst du fahren?« fragte sie. »Der schafft hundertneunzig auf gerader Strecke.«
Er ging um das Auto herum, stieg ein und setzte sich neben sie. Er startete, und sie fuhren los. In wenigen Sekunden hatte er den Wagen auf hundertvierzig Stundenkilometer gebracht. Er
wurde ihr erster fester Freund.
Mit ihm war es anders gewesen. Sie fühlte sich bei ihm unbefangener und selbstbewußter. Sie brauchten nicht wie Hund und Katze aufeinander loszugehen. Er respektierte sie. Er wußte, daß sie es mit ihm aufnehmen konnte. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sie zu schwängern.
Das geschah in ihrem letzten Jahr auf der High School. Eine Woche wartete sie ab, dann ging sie zu ihm. »Wir müssen heiraten«, sagte sie.
»Warum?« fragte er.
»Na, warum wohl, du Schwachkopf?«
Er sah sie ungläubig an, dann fluchte er. »Himmel, Arsch und Zwirn! Das sind diese verfluchten billigen Gummis, die ich im Supermarkt gekauft habe!«
»Von den Gummis kann es ja wohl nicht gekommen sein«, sagte sie. Sie war wütend. »Es ist dein verdammtes Ding gewesen. Du konntest doch nie genug kriegen.«
»Anscheinend hat es dir aber immer Spaß gemacht. Du hast nie nein gesagt!« Er sah sie an. »Woher soll ich übrigens wissen, ob es überhaupt von mir ist? Ich hab genug Geschichten über dich gehört!«
Sie starrte ihn einen Augenblick an, und in dieser Sekunde verflogen alle ihre Träume, die sie einmal für sich und ihn gehabt hatte. Im Grunde war er eben doch genauso wie alle anderen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn stehen.
Am nächsten Samstag hob sie hundert Dollar von ihrem Sparbuch ab und fuhr nach Center City. Es gab da einen Arzt im Mexikanerviertel, der schon einigen Mädchen von ihrer Schule geholfen hatte.
Sie wartete geduldig, bis alle anderen Patienten weg waren, dann ging sie in sein Sprechzimmer. Er war klein, dick und hatte eine Glatze. Er sah abgespannt aus.
»Ziehen Sie sich aus, und kommen Sie dann hier herüber«, sagte er.
Sie hängte ihr Kleid an einem Haken auf und drehte sich um.
»Bitte ganz ausziehen«, sagte er.
Sie zog ihren Büstenhalter aus und streifte das Höschen ab und ging zum Schreibtisch hinüber. Er stand auf, kam zu ihr, tastete ihre Brüste, ihren Bauch ab und horchte das Herz ab. Er reichte ihr nur bis an die Schultern. Er führte sie zu einem langen, schmalen Tisch. »Stützen Sie sich mit den Armen auf die Tischkante und beugen Sie sich vor«, sagte er und streifte einen Gummihandschuh über die rechte Hand. »Atmen Sie ganz tief ein und langsam aus.«
Sie holte tief Luft und atmete aus, während er sie untersuchte. Es dauerte nicht lange, da war er fertig; sie richtete sich wieder auf und drehte
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