Die Moralisten
hinter das Lenkrad und legte die Hände darauf. So blieb sie eine ganze Weile sitzen. Sie dachte an ihr Leben und daran, daß es bisher ein einziges Abenteuer gewesen war, beherrscht von schnellen Wagen und Männern.
Sie erinnerte sich daran, wie sie auf dem Schoß ihres Vaters gesessen und das Auto gesteuert hatte, wenn sie zum Einkaufen in die Stadt gefahren waren. Wie groß sie sich vorgekommen war und wie sie allen Leuten gewinkt hatte, damit sie auch sahen, daß sie Auto fuhr. Sogar Saunders, der fette Polizist, der den Verkehr auf der Hauptstraße regelte, war an ihr Auto gekommen, um zu sehen, ob sie einen Führerschein hatten. Damals war sie erst sechs Jahre alt gewesen.
Fahren konnte sie, bevor sie zehn war. Vater ließ sie immer auf der kleinen Straße hinter ihrem Haus fahren. Mutter schüttelte ständig den Kopf.
»Sie ist ja ein halber Junge«; sagte ihre Mutter immer. »Ewig ist sie in der Werkstatt, macht dummes Zeug mit den Autos und hört, was die Halbstarken reden; die lungern doch auch immer da herum.«
»Ach, laß sie doch, Mama«, sagte ihr Vater dann tolerant. »Zum Erwachsenwerden hat sie noch Zeit genug, und Kochen lernt sie auch noch. Das ist doch heutzutage sowieso nicht mehr so wichtig, wo es alles in Dosen und tiefgekühlt zu kaufen gibt.« Insgeheim freute er sich. Er hatte sich immer einen Sohn gewünscht.
Mit sechzehn machte sie ihren Führerschein. Damals interessierten sie die jungen Männer noch nicht besonders. Sie hatte noch nicht das Verlangen, sie zu demütigen. Vielleicht lag es auch daran, daß sie sich mit ihnen auf der Straße und bei Wettrennen messen konnte, die sie damals immer auf dem Ocean Drive austrugen.
Sie wußte auch, was die anderen dachten, als sie das erste Mal mit ihrem eigenen hochgetrimmten Sportwagen auftauchte. Da kommt die Kleine, die nicht nein sagen kann und ständig aufs Kreuz gelegt werden will. Sie kannte auch die Geschichten, die in der Schule über sie erzählt wurden. Immer wenn ein Junge im Umkleidezimmer mit Kratzern auf dem Rücken erschien, lachten ihn die andern aus und bewarfen ihn mit Fünfcentstücken. Als sie dann mit ihrem Auto auftauchte, kamen die Jungen aber doch gelaufen.
Johnny Jordan, der Anführer, drängte sich am weitesten vor. Er lehnte sich über die Tür, die Zigarette hing ihm im Mundwinkel. »Wo hast du denn den Karren aufgetrieben?«
»Bei Stan«, sagte sie. So hieß der Händler, bei dem sie alle ihre Gebrauchtwagen kauften.
Kritisch betrachtete er das Auto. »Hab ich nie da gesehen.«
»Ich hab selbst ein bißchen dran rumgebastelt«, sagte sie. Das war gelogen, denn sie hatte sich viel Mühe damit gemacht. Sie hatte den Wagen völlig auseinandergenommen und wieder zusammengebastelt. Es war ein ausgedienter Pontiac, den sie als Schrottwagen erstanden und umgebaut hatte. Sie hatte den Motor ausgebaut und ihn durch eine Cadillacmaschine ersetzt, ein neues Differential eingebaut, die Lager erneuert, die Bremsen verstärkt, die Karosserie abgebaut und das Chassis
eines alten Ford aufmontiert; dann hatte sie mit Blei das Gewicht ausgeglichen und zum Schluß das Auto hellsilber und schwarz lackiert. Das alles hatte sechs Monate gedauert.
»Fährt er denn?« fragte Johnny.
»Und ob der fährt«, sagte sie.
»Rutsch rüber«, sagte er und wollte einsteigen.
Sie saß am Steuer und rührte sich nicht vom Fleck. »Ich denke ja gar nicht dran. Den fährt keiner, bevor ich’s euch nicht gezeigt habe.«
Er sah sie mit großen Augen an. »Und wer soll gegen dich fahren? Wettrennen mit Mädchen macht doch hier keiner.« Sie lächelte. »Zu feige?«
Er bekam einen roten Kopf. »Quatsch. Aber wo gibt’s denn so was - Wettrennen mit Mädchen? Da lachen ja die Hühner!«
»Okay.« Sie ließ den Motor an. »Dann erzähle ich eben in der Stadt, daß ihr alle Angst habt.« Sie fuhr los.
Johnny fuhr ihr sofort nach. »He, warte mal! So was lassen wir uns von dir doch nicht nachsagen.«
Sie hielt und lächelte ihn an. »Nein, wirklich? Dann beweis mir das Gegenteil.«
»Na gut«, sagte er zögernd. »Aber gib mir nicht die Schuld, wenn dir was passiert.«
Er stellte sein Auto neben ihres. »Zwei Kilometer die Straße hoch!« schrie er durch das Motorengeheul. »Dort hältst du, wartest auf mich, und zurück fahren wir um die Wette.«
Sie nickte und beobachtete den Starter. Der Junge ließ den Arm fallen. Sie nahm den Fuß von der Kupplung, und das Auto schoß los. Sie schaltete höher und sah zu Johnny rüber. Er war auf
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