Die Moralisten
es anders, Baby. Es ist immer anders gewesen.«
»Ach ja, Ross, ja.« Ihre Stimme klang spöttisch.
Er setzte sein Glas ab und trat mit ein paar raschen Schritten auf sie zu. Seine kräftigen Hände packten ihre Schultern, und er hielt sie fest. Furchtlos sah sie ihn an. »Du treibst immer noch das gleiche Spiel, nicht wahr, Baby?« »Und du bist immer noch genauso unbeherrscht wie früher, nicht wahr, Ross?«
»Ich bin jetzt älter«, entgegnete er. »Jetzt wirst du mich nicht mehr so leicht los wie beim erstenmal.« Er zog sie an sich, und ihre Arme umschlangen seinen Nacken. Er lächelte. »So ist es schon besser, Baby.« Er beugte den Kopf herab, um sie zu küssen.
Ein jäher, betäubender Schmerz zuckte in seiner Schläfengegend auf. Mit einem Fluch stürzte er zu Boden und blickte zu ihr empor. Kaum hatte er sie losgelassen, war auch der Schmerz vergangen. Es blieb nur noch ein dumpfes Gefühl im Nacken. »Du Luder!« stieß er hervor. »Was hast du gemacht?«
Sie lächelte auf ihn hinab. »Ich habe einen Freund bei der Polizei. Sie nennen es Schmerzpunkte. Judo.«
Er stand auf und griff nach seinem Glas. »Du hast dich nicht im geringsten verändert, was?«
Ohne zu antworten, drehte sie sich um und bereitete sich einen Drink zu. Er beobachtete sie. »Was ist das?« fragte er.
»Cassis und Soda.«
Er verzog das Gesicht. »Das schmeckt doch wie Medizin.«
»Ich mag es.«
Er blickte sich in der Wohnung um. »Du hast es hübsch hier.« »Danke.«
»Du mußt gut dastehen.«
»Ich komme zurecht.«
»Was arbeitest du?« fragte er neugierig.
Sie starrte ihn einen Augenblick an. Das Telefon klingelte. Sie ging zum Apparat und nahm den Hörer ab. Mit einer Hand bedeckte sie die Muschel und blickte ihm in die Augen. »Ich bin eine Hure«, antwortete sie.
Er hatte das Gefühl, als könne er nicht mehr atmen. Wie aus weiter Ferne hörte er sie in den Apparat sagen: »Jetzt nicht, Liebling. Ich habe zu tun. Versuch es doch morgen.«
Sie legte den Hörer auf, ging durch das Zimmer und nahm seinen Mantel, den sie ihm hinhielt. »Würdest du jetzt bitte gehen, Ross? Ich bin müde.«
Er rührte sich nicht von der Stelle. Seine Blicke ruhten noch immer auf ihrem Gesicht. Er fuhr mit der Hand in die Tasche und holte ein Bündel Scheine hervor. Mit einer raschen Bewegung warf er das Bündel in die Luft, so daß die Scheine um sie herum zu Boden flatterten. »Ich habe eben den Rest der Nacht gekauft«, sagte er.
Still lagen sie auf ihrem Bett. Durch die geschlossenen Fenster drangen die nächtlichen Geräusche der Stadt gedämpft bis zu ihnen. Ihre Zigarette glühte auf und warf ein sanftes rotes Licht auf ihr Gesicht.
Etwas schmerzte in ihm. Er berührte sie. Ihre Haut war zart und kühl. Er erinnerte sich an ihre Berührung und an die wilde Erregung, die sie in ihm ausgelöst hatte. »Marja«, flüsterte er.
Er spürte den leichten Druck ihrer Finger, mit dem sie ihm antwortete. »Marja«, flüsterte er leise, »hast du nichts empfunden? Überhaupt nichts?«
Ihre Stimme klang dumpf und belegt. »Gewiß, mein Liebling. Du bist wirklich ein Mann.«
»Das meine ich doch nicht, Marja!« Seine Stimme war nur noch ein schmerzliches Flüstern. Plötzlich zerbrach etwas in ihm, und er begann zu weinen. So vieles war verlorengegangen. Lautes Schluchzen erschütterte ihn.
Sie schlang ihre Arme um ihn und zog seinen Kopf an ihre Brust. »Schon gut, mein Junge, schon gut«, flüsterte sie beschwichtigend.
5
Der Geruch von gebratenem Speck drang ihm entgegen, als er noch warm von der Dusche aus dem Badezimmer trat. Er trocknete sich rasch ab, schlang sich das Tuch um die Hüften und ging in die Küche hinaus.
Maryann stand in einem einfachen Hauskleid an dem kleinen Herd und schlug gerade Eier in eine Pfanne. Sie streifte ihn mit einem raschen Blick. »Zieh dich an«, sagte sie. »Das Frühstück ist gleich fertig.«
Er starrte sie an. Ihre Augen waren klar, und sie verriet nicht die
geringste Spur dieser langen, stürmischen Nacht. Sie war nicht geschminkt, und dennoch zeigte ihre Haut die gleiche gesunde Frische wie immer. »Wozu?« fragte er. »Ich gehe nirgends hin.« »Doch, du gehst«, sagte sie und deutete auf eine kleine Uhr über dem Herd. »Es ist fast Mittag. In diesem Hotel die Zeit, in der man sein Zimmer zu verlassen hat. Mach dich also fertig!«
Das Blut schoß ihm ins Gesicht. Es war fast so, als verspürte er die Scham, die sie hätte empfinden sollen. »Du gehst mit mir«, erwiderte er.
»Du
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