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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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machen.
    Sie parkte ihren Wagen auf der anderen Straßenseite, dem Tor des Lazaretts gegenüber. Drei große Autobusse, die die Soldaten in die Stadt bringen sollten, standen an der Ecke. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war halb acht. Sie fröstelte leicht und zündete sich eine Zigarette an. Es war lange her, seit sie so früh aufgestanden war.
    Nach einer Weile kam sie sich ein wenig töricht vor. Es war doch dumm, mitten in der Nacht aufzustehen und so weit zu fahren, nur um ihn einmal zu sehen. Sie wollte nicht mit ihm reden, ihn nicht anrühren. Sie wollte ihn nur ein paar Schritte gehen und in den Bus steigen sehen. Er würde nicht einmal wissen, daß sie da war.
    Sie war bereits bei der dritten Zigarette angelangt, als die erste Gruppe von Soldaten herauskam. Plötzliche Angst befiel sie. Sie ähnelten einander in ihren Uniformen so sehr. Ob sie ihn wohl erkennen würde? Vielleicht hatte er sich verändert.
    Erregt musterte sie die Gesichter der Soldaten. Der erste Bus war nun besetzt. Er fuhr ab, und der zweite Bus rückte an seine Stelle. Das rauhe Lachen der Männer drang bis zu ihr.
    Auch der zweite Bus fuhr davon, und der letzte Bus rückte nach. Nervös blickte sie auf die Uhr. Es war viertel vor neun. Millersen hatte sich geirrt. Mike würde nicht kommen. Es erschienen nur noch wenige Soldaten. Der erste Ansturm war vorbei.
    Rasch musterte sie jedes Gesicht. Vielleicht hatte sie ihn in der Menge, die zu den ersten Bussen drängte, übersehen. Sie zerdrückte ihre Zigarette in dem Aschenbecher am Armaturenbrett und drehte den Zündschlüssel herum. Der Motor sprang an. Der letzte Bus fuhr vor ihr auf die Straße hinaus.
    Sie legte den Gang ein und fuhr an. Einem plötzlichen Einfall folgend, sah sie noch einmal über die Straße zurück. In diesem Augenblick trat er aus dem Tor. Automatisch bremste sie und starrte ihn an.
    Er war mager, entsetzlich mager; seine Backenknochen zeichneten sich deutlich ab, und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er ging mit einem leichten Hinken. Als er den Bus um die Ecke herum verschwinden sah, blieb er stehen, und sie sah ihn in einer ihr so vertrauten Geste der Enttäuschung mit den Fingern schnipsen. Fast hörte sie sein »Verdammt!«
    Langsam nahm er die kleine Leinwandtasche von der rechten in die linke Hand. Er zündete ein Streichholz an, hielt es an eine Zigarette, warf das Streichholz in den Rinnstein und begann die Straße entlangzugehen.
    Wie gelähmt saß sie da und blickte ihm nach. In der Uniform wirkte er so fremd, und dennoch hatte sie den Eindruck, als habe er sie schon immer getragen. Alles an ihm war ihr so vertraut. Als sie aus dem Wagen stieg, hatte sie fast das Gefühl, als werde sie von einem Magneten angezogen. Sie konnte nicht anders, sie mußte hinter ihm herlaufen.
    Sie streckte die Hand aus und bedeckte die seine am Riemen der Tasche. Das Blut pochte dermaßen in ihren Ohren, daß sie ihre eigene Stimme kaum hörte. »Darf ich deine Tasche tragen, Soldat?« Langsam wandte er sich zu ihr um. Ihr Blick verschleierte sich, und
    sie konnte sein Gesicht nicht mehr klar erkennen. War ihm das alles peinlich? Ängstlich begann sie wieder zu reden. »Darf ich deine Tasche tragen?« wiederholte sie.
    Die Zigarette, die er im Mundwinkel gehalten hatte, fiel heraus. Sie rollte langsam über seinen Jackenaufschlag und fiel zwischen ihnen auf das Trottoir. Zitternd stand sie da und wartete darauf, daß er etwas sagte.
    Seine Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut. Sein Gesicht wurde blaß, und er schien zu schwanken. Sie streckte eine Hand aus, um ihn zu stützen. Dann war es, als loderte ein Feuer zwischen ihnen auf, denn sie lag in seinen Armen und küßte seinen Mund.
    Sie drehte den Schlüssel im Schloß herum, drückte die Tür auf und sah ihn im Halbdunkel des Hausflurs an. »Wir sind zu Hause, Mike«, sagte sie.
    Er trat ins Zimmer, wandte sich um und sah sie an. Sie hatte ihm schon alles erklärt und ihm von dem Freund erzählt, der ihn für sie gesucht hatte.
    Sie schloß die Tür hinter sich, und plötzliche Scheu befiel sie. »Setz dich und ruh dich aus«, sagte sie. »Ich mache dir etwas zu trinken zurecht.« Sie ging zum kleinen Tisch hinüber. »Was willst du haben?«
    »Gin auf Eis«, antwortete er, und seine Blicke folgten ihr unbeirrbar. Rasch schenkte sie ein und reichte ihm das Glas. Sie nahm ihm die Mütze ab und betrachtete sein Gesicht. »Du hast dich verändert, Mike.«
    Er lächelte. »Ich bin jetzt ein Mann, Marja. Ich

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