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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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dem ihren. Es ist bestimmt schwieriger, eine tüchtige Hure zu sein als eine tüchtige Sekretärin oder Verkäuferin.«
    »Warum haben Sie dann niemals etwas anderes versucht?«
    »Woher wollen Sie wissen, was ich versucht habe?« entgegnete sie ruhig. »Warum sind Sie Anwalt und nicht Arzt? Weil Sie sich auf den Beruf des Anwalts am besten verstehen. Nun, ich bin eben darin am besten.«
    »Ich bin auch Anwalt, weil es das ist, was ich sein möchte und wofür ich geboren bin.«
    »Von Kollege zu Kollege« - sie lächelte -, »mein ganzes Leben hindurch habe ich mich dagegen gewehrt. Schon als junges Mädchen, als die Jungen hinter mir her waren, habe ich mich dagegen gewehrt. Jemand hat mir mal gesagt, dazu sei ich geboren. Ich habe ihm nicht geglaubt, und er hatte recht. Jetzt weiß ich es.«
    Er nahm ihre Hand und streichelte sie zart. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er diese Frau sehr gern hatte. Sie besaß eine seltsame Aufrichtigkeit. »Ich hoffe, eines Tages bekommen Sie alles, was Sie sich wünschen.«
    Im Restaurant wartete sie, während Vito Hut und Mantel an der Garderobe abgab. Dann näherten sie sich dem Tisch, an dem Ross Drego mit dem Rücken zu ihnen saß. Er schien sich angeregt mit einem dunkelhaarigen Mädchen neben ihm zu unterhalten.
    Vito trat hinter ihn, seine Hand auf Maryanns Arm. »Ross«, sagte er. Ross wandte sich rasch um und blickte lächelnd und mit lebhaften, dunklen Augen zu ihm auf. »Hank!«
    »Ich möchte dir Maryann Flood vorstellen, Ross«, sagte Vito. »Maryann, das ist Ross Der .. .«Seine Stimme brach abrupt ab.
    Ross’ Gesicht war weiß geworden. Einen Augenblick glaubte Vito, ihm würde übel, und es lag ein unerklärlicher Schmerz in seinem
    Gesicht. Nur Ross’ Augen schienen noch lebendig - lebendig und von einem gierigen Verlangen erfüllt, das Vito nie zuvor in ihnen gesehen hatte. Schließlich öffnete Ross den Mund. Seine Stimme zitterte. »Marja!« brachte er mühsam hervor.
    Vito sah Maryann an. Unter ihrem Make-up war ihr Gesicht bleich, aber sie war gefaßter als Ross. Sie streckte ihre Hand aus. »Ross!« rief sie leise. »Es ist lange her!«
    »Sehr lange, Marja«, antwortete Ross und erhob sich verwirrt. »Nimm doch Platz, Hank.«
    Sie setzten sich. »Wir sind zusammen aufgewachsen, Hank«, erklärte Ross, ohne seine Augen von Maryann abzuwenden. »Weißt du noch, was du mir am Telefon gesagt hast, Hank? Es gäbe kein zweites Mädchen wie sie in der ganzen Welt!«
    Vito blickte die beiden abwechselnd an. Beide waren von der gleichen Vitalität erfüllt. Sie waren sich bei allen ihren Verschiedenheiten doch so ähnlich, daß man meinen konnte, sie wären aus der gleichen Form gegossen. Er legte seine Hand auf den Tisch und beugte sich vor. »Erzählt mir von früher«, sagte er.
    4
    Das dunkelhaarige Mädchen, das Ross mitgebracht hatte, war verärgert. Während des ganzen Essens hatte man sie so wenig beachtet, als wäre sie gar nicht anwesend. Ihr aber war es schließlich völlig gleichgültig, was Ross und Maryann vor Jahren getrieben hatten.
    Hank Vito dagegen interessierte es sehr. Es sagte ihm so vieles über Ross und Maryann. Vieles, woran er herumgerätselt hatte. Schweigend registrierte er ihre Erinnerungen. Er war es gewohnt, sich aus Bruchstücken langsam ein Bild von Menschen zusammenzusetzen. In seinem Beruf kamen einem solche Informationen eines Tages recht gut zustatten.
    Eines erkannte er sofort: jetzt mußte er warten, bis er bei Maryann an der Reihe war. Wenn es jemals etwas Unerledigtes zwischen zwei Menschen gegeben hatte, dann zwischen diesen beiden. Er sah das dunkelhaarige Mädchen an und lächelte.
    »Was meinen Sie, wollen wir nicht abschwirren und die beiden ihrer Wiedersehensfreude überlassen?«
    Dankbar erwiderte das Mädchen sein Lächeln. »Nichts wäre mir lieber, Mr. Vito. Die Erinnerungen anderer Leute sind so langweilig.«
    Vito fand das ganz und gar nicht, stand aber auf. »Dann gehen wir.« Ross blickte zu ihm auf. »Aber wir haben doch unsere geschäftliche Angelegenheit noch gar nicht erörtert«, widersprach er.
    Vito lächelte. »Komm gleich morgen früh in mein Büro.« Er streckte Maryann die Hand hin. »Gute Nacht, meine Freundin.« Ihr Lächeln war strahlend und herzlich. »Gute Nacht, mein Anwalt.«
    Ross sah ihnen nach und wandte sich dann an Maryann. »Setz dich neben mich.«
    Schweigend nahm sie den Platz des Mädchens ein. Ross legte seine Hand auf die ihre.
    »Noch etwas zu trinken?« fragte er.
    Sie

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