Die Moralisten
schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
»Ich nehme noch etwas.« Er machte dem Kellner ein Zeichen, und dieser brachte ihm noch einen Whisky. »Wie hast du Hank Vito kennengelernt?« fragte er.
Sie sah ihn an. »Ich hatte Unannehmlichkeiten und brauchte einen Anwalt.«
»Du hast dir den besten ausgesucht«, meinte Ross. »Er ist teuer, aber es gibt keinen besseren.«
»Manchmal ist auf lange Sicht der teuerste auch der billigste«, antwortete sie.
»Er ist auch mein Anwalt«, sagte Ross.
Fragend zog sie die Augenbrauen hoch.
»Ich arbeite für das Syndikat«, erklärte Ross. »Du weißt, was das ist?«
Sie nickte.
»Meine Hände sind allerdings sauber«, fügte er rasch hinzu. »Ich erledige die legitimen Geschäfte. Im Augenblick soll ich nach Los Angeles, um dort eine Baufirma zu gründen. Deswegen hatte ich heute abend noch mit Vito reden wollen.«
Sie antwortete nicht.
»Erinnerst du dich noch an Joker Martin?« fragte Ross.
Sie nickte.
»Er ist jetzt einer der Großen. Früher habe ich bei ihm mitgemacht, aber jetzt bin ich unabhängig. Ich habe die anderen davon überzeugen können, daß ich bessere Arbeit leiste, wenn ich auf mich allein gestellt bin.« Ross bot ihr eine Zigarette an und gab ihr Feuer. »Er war der einzige, der mir damals Arbeit gab, als mich mein Alter auf die Straße setzte und mir keinen Cent mehr gab.«
Sie sah ihm in die Augen. »Du bist ziemlich erfolgreich.«
Er nickte voller Zufriedenheit. »Das Geld liegt auf der Straße, Baby. Ich brauche es nur aufzuheben.«
»Wenn dich nicht die Armee holt«, meinte sie.
Er lachte auf. »Mich holt sie nicht.«
»Du bist deiner Sache sehr sicher.«
»Es ist einfach, sich um die Einberufung zu drücken, wenn man nur die richtigen Ärzte kennt«, erklärte er.
»Die können dir auch nicht helfen, wenn du erst einmal gemustert wirst«, entgegnete sie. »Alle Zeugnisse der Welt sind da umsonst.«
Er zupfte an seinem Ohrläppchen. »Ich bin eine Versicherung gegen die Einberufung eingegangen. Ein Loch in meinem Trommelfell, das mich zweitausendfünfhundert Dollar gekostet hat.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du hast dich nicht im geringsten geändert, Ross. Noch immer weißt du für alles einen Ausweg.« Plötzlich war sie müde. Ross erinnerte sie an lang vergangene Zeiten und an Dinge, an die sie nicht mehr denken wollte. Sie griff nach ihrer Stola. »Es ist spät geworden, Ross. Ich glaube, ich gehe heim.«
»Ich bring dich nach Hause«, erwiderte er rasch. »Mein Wagen steht draußen.«
Sie nannte ihm ihre Adresse und lehnte sich im Wagen zurück, als er durch die Nacht jagte. Sie schloß die Augen und fühlte sich weit weg von den Menschen und den Orten, die sie kannte. Erst als der Wagen hielt, öffnete sie die Augen. Sie waren nicht vor ihrem Haus. »Ross!« rief sie scharf.
»Sieh doch mal, Baby«, sagte er und deutete durch das Wagenfenster. »Es ist so lange her.«
Sie wandte sich zum Fenster und blickte auf den Fluß hinaus, auf dem sich hier und dort Lichter spiegelten. Riverside Drive - wo sie so viele Male zusammen gewesen waren.
Sie fühlte seinen Arm auf der Lehne hinter ihr und sah ihn an. »Laß das sein, Ross. Es ist tatsächlich lange her. Man kann nicht mehr zurück. Bring mich nach Hause.«
Sie betrachtete seinen Mund und entdeckte jenen verdrießlichen Zug, dessen sie sich so gut entsann. Er startete den Wagen. Einige Minuten später waren sie vor ihrer Tür angelangt.
Ross sah sie an. »Du könntest mich zu einem Drink einladen«, meinte er. »Um der alten Zeiten willen.«
»Na gut«, antwortete sie widerstrebend. »Aber wirklich nur einen.«
Er folgte ihr in die Wohnung. »Auf dem kleinen Tisch steht alles«, sagte sie.
Sie legte seinen Mantel auf einen Stuhl und ging ins Schlafzimmer. Bald darauf kam sie zurück; sie trug nun ein grünes Hauskleid aus Samt.
Er blickte zu ihr auf und rief: »Du bist noch immer die Beste!« »Danke«, antwortete sie abweisend.
Fragend furchte er die Stirn. »Was plagt dich, Baby? Bist du mir noch immer wegen der Sache damals böse?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht mehr, Ross. Seitdem ist mir so viel anderes zugestoßen. Wegen der alten Sache kann ich dir nicht böse sein.«
Er griff nach ihrem Arm, aber sie entzog sich ihm. »Was ist es dann? Ich habe noch immer das gleiche große Verlangen nach dir, ganz wie früher.«
Sie lächelte zurückhaltend. »Ich weiß. Das gleiche Verlangen wie nach allen anderen Mädchen.«
Er senkte die Stimme. »Bei dir ist
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