Die Moralisten
konnte doch nicht ewig ein Junge bleiben. Das hast du mir einmal gesagt. Erinnerst du dich?«
Sie nickte.
Er hob sein Glas. »Auf die Kinder, die wir einmal waren!«
»Ach, Mike!« Der Schmerz belegte ihre Stimme. »Wir wollen nicht an gestern denken. Tun wir so, als ob die Vergangenheit vergessen wäre und eine helle Zukunft vor uns läge.«
Es zuckte um seinen Mund. »Es ist ziemlich schwierig, so zu tun, Marja. Zuviel geschieht rings um uns herum.«
»Dann wenigstens für die paar Tage, Mike. Bitte!«
Er setzte sein Glas ab und streckte seine Arme nach ihr aus. Schnell drängte sie sich an ihn. Er drückte ihr Gesicht an seine Brust. »Ich brauche mir nichts vorzumachen, Marja. Ich habe mir nichts mehr gewünscht, als dich wiederzusehen und mit dir zusammen zu sein.« Das Telefon klingelte, und er ließ sie los.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich will mich nicht melden.«
»Es könnte aber wichtig sein«, meinte er.
»Das einzig Wichtige während dieses Wochenendes sind wir beide«, antwortete sie.
Als das Telefon zu klingeln aufhörte, wählte sie eine Nummer. »Hier spricht Miß Flood. Ich verreise über das Wochenende. Würden Sie bitte alle Mitteilungen entgegennehmen und es allen ausrichten, die mich sprechen wollen.«
Er betrachtete sie, als sie den Hörer auflegte. »Du mußt eine recht gute Stellung haben, um dir eine solche Wohnung leisten zu können.«
Sie lächelte. »Ich hatte Glück.«
Fast stolz sah er sie an. »Du mußt auch auf Draht sein. Das alles schafft man nicht, wenn man nicht auf Draht ist.«
Sie fühlte sich plötzlich gewarnt und forschte in seinem Gesicht nach verborgenen Andeutungen. »Ich möchte aber nicht fachsimpeln«, erklärte sie dann. »Davon habe ich die ganze Woche mehr als genug. Dieses Wochenende gehört mir.«
Es war fast Mitternacht, als sie vom Abendessen heimkehrten. Sie lachten noch immer über etwas, das er im Taxi erzählt hatte. Aber sein Gesicht wirkte, wie sie bemerkte, erschöpft und eingefallen.
»Es war alles so herrlich«, rief sie, »und dabei habe ich völlig vergessen, daß du gerade erst aus dem Lazarett kommst.«
»Ich fühle mich aber wohl«, erwiderte er.
»Nein, das stimmt nicht«, behauptete sie und ging ins Schlafzimmer hinüber. »Ich mache das Bett zurecht und lasse dir ein Bad ein. Du gehst sofort schlafen.«
»Aber Marja«, widersprach er, »du behandelst mich, als wäre ich ein kleines Kind.«
»Für dieses Wochenende«, erklärte sie und lächelte ihn an, »bist du auch nichts anderes. Mein Baby.«
Rasch schlug sie die Decken auf dem Bett zurück, ging ins Badezimmer und drehte das heiße Wasser auf. Als sie ins Schlafzimmer zurückkam, stand er in der Tür und sah sie an.
»Du brauchst mir dein Bett nicht abzutreten«, erklärte er. »Ich kann doch auf der Couch schlafen.«
Sie fühlte, wie ihr die Glut ins Gesicht stieg. Sie ging auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Nacken. »Mike«, flüsterte sie, »du bist ein solcher Dummkopf.« Sie küßte ihn.
Er stand einen Augenblick ganz still, dann schlossen sich seine Arme um sie, bis sie kaum noch atmen konnte. Vor ihren Augen tanzten Lichter, und das Zimmer schien mit ihr zusammen in einen Wirbel gerissen. Sie schloß die Augen. Niemals zuvor war es so gewesen. Niemals. Das galt ihr. Endlich empfand sie wirklich etwas, als wäre nun erst ihre Lebenskraft erwacht.
»Mike!« stieß sie hervor. »Mike, ich liebe dich!«
Still lag sie im Bett und betrachtete ihn im Schlaf. Das graue Licht des Morgens sickerte durch die heruntergelassenen Jalousien herein. Ein verirrter Sonnenstrahl fiel auf seinen Mund. Er schien zu lächeln. Sie legte den Kopf aufs Kissen zurück und wagte aus Angst, ihn zu wecken, kaum zu atmen. Das Wochenende war so schnell zu einem Gestern geworden. Sie schloß die Augen, um sich alles wieder zu vergegenwärtigen.
»Wir könnten heiraten, bevor ich mich zurückmelden muß«, sagte er leise.
Überrascht öffnete sie die Augen. »Ich dachte, du schliefest noch.« »Wir haben Zeit genug. Ich brauche mich erst am Mittag zurückzumelden.« Er blickte ihr fest in die Augen.
Aber sie antwortete ihm nicht.
»Was ist, Marja?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts.«
»Aber etwas stimmt doch nicht«, fuhr er fort. »Das fühle ich, seit ich dich gestern zum erstenmal gefragt habe. Willst du mich nicht heiraten?«
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. »Das brauche ich dir doch nicht erst zu sagen.«
»Was ist dann der Grund?« fragte er.
»Mike«, flüsterte sie,
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