Die Moralisten
schön du bist, als sie dich umarmte? Und hat sie dich auch aufgefordert, dir noch mehr zu holen, als du sie küßtest? Und als sie dir dann alles gab, hat sie da auch ...«
Mike stieß einen tierischen Laut aus, als er sich auf Ross stürzte. Zu spät sah er etwas in Ross’ Hand aufblitzen. Er verspürte einen heftigen Schmerz am Kopf und taumelte zu Boden. Er versuchte auf die Beine zu kommen, aber ein neuer, betäubender Schmerz hinter seinem Ohr ließ ihn in Bewußtlosigkeit sinken.
Ross stand schwer keuchend über ihn gebeugt. Seine Augen funkelten vor Haß, und der kleine Totschläger schwang noch immer in seiner Hand hin und her. Dann versetzte er Mike einen gemeinen Schlag quer über das Gesicht. »Das war ich dir schon seit langem schuldig«, rief er. Dann verlor er alle Beherrschung.
»Hör auf, Ross, hör auf« schrie sie und klammerte sich an ihn. »Du bringst ihn um!«
»Genau das will ich!« brüllte er wie von Sinnen. Wieder hob er den Arm. »Seit langem schon!«
Plötzlich hielt er inne, den Arm noch zum Schlag erhoben. Er schüttelte den Kopf, als bemühte er sich, wieder klar zu denken. »Was hast du eben gesagt?« »Ich komme mit dir, wenn du aufhörst.« Ihre Stimme klang nun deutlicher.
Langsam ließ er die Hand sinken. Erbetrachtete den Totschläger in seiner Hand, als sei er überrascht, ihn dort zu sehen. Er ließ ihn in seine Tasche gleiten. Seine Augen waren klar, und seine Stimme war so ruhig, als sei nichts geschehen. »Pack deine Sachen«, sagte er leise.
Sie rührte sich nicht, sondern blickte auf Mike hinab.
Er folgte ihrem Blick. »Mein Gott! Der sieht ja schlimm aus!« Seine Stimme klang leicht verwundert. Er beugte sich nieder und schob einen Arm unter Mikes Schultern. »Ich lege ihn aufs Bett und wasche ihm das Blut ab. Du kannst inzwischen deine Sachen packen.«
Es war fast dunkel, als Mike die Augen öffnete. Er spürte einen dumpfen, pochenden Schmerz im Nasenrücken und unterdrückte ein Stöhnen. »Marja!« rief er.
Keine Antwort.
Nur mühsam kehrte die Erinnerung zurück. Steif und zerschlagen erhob er sich vom Bett. Ein Schwindelanfall erfaßte ihn. Er hielt sich an einem Stuhl fest, bis er ihn überwunden hatte, und taumelte dann ins Badezimmer. In der Dunkelheit drehte er das kalte Wasser auf und trank in durstigen Zügen vom Hahn. Endlich war die Trockenheit in seiner Kehle verschwunden.
Er richtete sich auf und schaltete das Licht ein. Ein fremdes Gesicht starrte ihn aus dem Spiegel über dem Waschbecken an. Die Backenknochen waren geschwollen und wund, die Nase eingeschlagen und die Lippen aufgeplatzt und blutig. Vor allem aber harten sich seine Augen verändert. Sie lagen tief in ihren Höhlen, von einem Schmerz erfüllt, der keinen körperlichen Ursprung hatte. Langsam schloß er sie, dann öffnete er sie rasch, um festzustellen, ob dieser Ausdruck verschwand. Aber er blieb. Er war nicht auszulöschen. Er würde immer da sein.
Die helle Sonne Kaliforniens begann hinter den blauschwarzen Konturen der Berge zu versinken, als der große, grauhaarige Mann die Stufen zum Haus hinaufging und auf die Klingel drückte.
Vom Schwimmbecken her hörte er das Lachen eines Kindes und die besorgten warnenden Worte eines schwarzen Kindermädchens, das wachsam um das Schwimmbecken herumging. Er nickte zufrieden, als sich die Tür öffnete.
Ein alter farbiger Diener sah ihn an, und ein höfliches Lächeln des Erkennens breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Treten Sie ein, Mr. Martin«, sagte er mit tiefer, dunkler Stimme. »Ich gebe Mrs. Drego gleich Bescheid, daß Sie da sind.«
Joker Martin folgte dem Alten in den großen Wohnraum und trat an das Panoramafenster, von dem aus man das Schwimmbecken sehen konnte. Er beobachtete, wie das kleine Mädchen mit dem schimmernden goldenen Haar aus dem Wasser kletterte. Rasch hüllte das Kindermädchen das Kind in ein großes Badetuch und begann es abzutrocknen.
Das Kind, dachte er, ähnelt seiner Mutter. Nichts von Ross war in ihm. Es war schon seltsam, daß ein so vitaler Mensch wie Ross in seinem Kind nicht die geringste Spur hinterließ. Ein leichtes Lächeln spielte über seine Lippen hin. War denn Michelle wirklich Ross’ Kind? Nur Marja vermochte darauf zu antworten, und er war klug genug, sie nicht zu fragen. Er dachte, daß wohl auch Ross eine solche Frage nicht stellte. Joker Martin war überzeugt, daß Marja, falls Ross jemals fragen sollte, ihm die Wahrheit sagen würde, selbst wenn ihm diese Wahrheit nicht
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