Die Moralisten
schön«, erwiderte sie und warf die Tür zu.
Er folgte ihr noch mit den Blicken, als sie sich unter die Menge an der Ecke mischte und vor ihm die Straße überquerte. Er liebte ihren Gang. Es waren die gleichen jugendlichen Bewegungen, die sie immer gehabt hatte. Als er die Blicke bemerkte, mit denen Männer ihr nachsahen, lächelte er. Er konnte es ihnen nicht übelnehmen. Hinter ihm hupte jemand. Er blickte auf und sah, daß das Licht gewechselt hatte. Er fuhr an.
Das Haus lag in einer Reihe alter Häuser, bei denen es sich in New York schon längst nicht mehr lohnte, sie als Wohnungen zu vermieten, und die man darum zu Büros umgebaut hatte. Dort hausten kleine Reklameagenturen und etwas zwielichtige Existenzen, die ihr Geschäft als Unternehmen bezeichneten, und sonst noch Leute, die bereit waren, für einen kärglichen Büroraum etwas mehr zu bezahlen, aber auf jeden Fall eine Adresse in der Park Avenue aufweisen wollten.
Das glänzende Messingschild neben der Tür strahlte ihr entgegen. Park Avenue 79. Darunter befanden sich die kleineren Messingschilder mit den Namen der Firmen. Jedes Schild kostete im Monat noch zusätzliche fünf Dollar. Sie öffnete die große Eingangstür und betrat einen altmodischen Hausflur. An einer Tür rechts befand sich das Schild Park Avenue Models, Inc. Weiter hinten führte die Treppe zu den anderen Büros hinauf.
Sie ging an der Treppe vorbei zu einer anderen Tür, an der kein Name stand und die in ein gut eingerichtetes Büro führte. Sie warf ihren leichten Mantel ab und setzte sich an den Schreibtisch. Die Jalousien waren heruntergelassen, und sie schaltete eine Lampe ein, die das Zimmer zum Leben erwachen ließ. An den Wänden hingen zwei sehr gute Bilder und mehrere Farbfotos von jungen Mädchen. In einem Korb auf ihrem Tisch lagen weitere Bilder und daneben das Exemplar eines Verzeichnisses von Fotomodellen.
Sie drückte auf einen Knopf. Einen Augenblick später trat eine Frau mittleren Alters ein. Sie war offensichtlich erregt. »Miß Flood«, sagte sie, »ich bin so froh, daß Sie da sind. Eben hat jemand von der Polizei angerufen!«
Maryann blickte mit einer jähen Bewegung auf. »Was?«
»Jemand von der Polizei, Miß Flood«, wiederholte die Frau. »Und worum handelt es sich, Mrs. Morris?«
»Um Florence Reese. Sie liegt im Krankenhaus. Abtreibung.«
Mrs. Morris war ganz außer Atem. »Man wollte wissen, ob sie für uns gearbeitet hat.«
»Was haben Sie geantwortet?«
Mrs. Morris richtete sich auf. »Ich habe selbstverständlich gesagt, daß sie nicht für uns arbeitet. Wenn sich so etwas herumspricht, schadet uns das sehr. Es fällt uns schon so schwer genug, Arbeit für Mädchen zu finden, bei denen alles in Ordnung ist.«
Maryann blickte nachdenklich vor sich hin. »Sie hätten nicht lügen sollen, Mrs. Morris. Vielleicht ist das arme Ding wirklich in Not und braucht unsere Hilfe.«
Mrs. Morris sah empört auf sie herunter. »Sie wissen doch, Miß
Flood, was ich von solchen Mädchen halte. Sie sollten auch nicht eine Minute für sie vergeuden. Die wissen das gar nicht zu schätzen und bringen nur sich selber und alle anderen, mit denen sie zu tun haben, in schlechten Ruf.«
Maryann blickte vor sich auf die Schreibtischplatte. Gerade aus diesem Grund gab Mrs. Morris eine so gute Fassade ab - wegen ihrer ehrlichen Empörung über die schädigenden Elemente in diesem Beruf. Der Schlag würde sie treffen, wenn sie wüßte, was alles über die beiden Privattelefone auf Maryanns Schreibtisch ausgehandelt wurde. Aber jetzt hatte Maryann keine Zeit für Mrs. Morris’ Empörung. Sie mußte sofort Hank Vito anrufen und feststellen, was in diesem Fall zu tun war. »Danke, Mrs. Morris. Haben Sie noch irgendwelche anderen Anrufe erhalten?«
»Zwei, Miß Flood. Einer von Mr. John Gellard. Er braucht heute nachmittag drei besonders geeignete Mädchen. Es sind einige Einkäufer in der Stadt, denen er etwas vorführen möchte. Ich habe ihm einige Mädchen vorgeschlagen, aber er wollte erst noch mit Ihnen reden. Der andere war von dem Pelzgeschäft in der 14. Straße. Dort brauchen sie ein Mannequin für das Schaufenster. Ich habe ihnen Raye Marnay geschickt.«
»In Ordnung«, sagte Maryann und griff nach dem Telefon. »Ich werde Mr. Gellard selber anrufen.«
Sie wartete, bis die Frau die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann wählte sie eine Nummer. Nachdenklich starrte sie auf die geschlossene Tür, während das Telefon am anderen Ende der Leitung
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