Die Moralisten
klingelte.
Die arme Florence. Noch in der vergangenen Woche hatte sie ihr geraten, keine Abtreibung vornehmen zu lassen. Sie hatte viel zu lange gewartet. Drei Monate waren schon verstrichen. Es wäre viel klüger gewesen, wenn sie das Kind bekommen und zur Adoption weggegeben hätte. Das war in jeder Hinsicht die sauberste Lösung, und Hank Vito hätte noch dafür gesorgt, daß das Mädchen ein paar Dollar in die Hand bekommen hätte. Aber dann hatte sie wohl eine Panik erfaßt, und wahrscheinlich war sie in die Hände eines Pfuschers geraten. Maryann ergriff der Zorn. Was für ein Arzt war das, der das Leben eines jungen Menschen auf diese Weise aufs
Spiel setzte! Gewiß, sie war eine Hure, aber war sie deshalb etwa kein Mensch?
Ein Mann meldete sich.
»Maryann«, sagte sie.
»Gott sei Dank!« Die Stimme des Mannes verriet Erleichterung. »Ich hatte schon Angst, ich würde vor dem Essen nichts mehr von Ihnen hören. Ich habe drei Leute aus Texas hier, und die sind scharf auf was Besonderes. Jetzt sitzen sie im Hotel und warten. Ich habe es ihnen zum Essen versprochen.«
»Die Zeit ist ziemlich knapp, John.«
»Das kann ich nicht ändern, meine Liebe«, erwiderte der Mann. »Ich habe es auch erst heute früh erfahren.«
»Volles Programm?« fragte sie. »Auftritt und Party?«
»Genau«, antwortete er.
»Das kostet ’ne Menge«, sagte sie.
»Wieviel?«
»Tausend Dollar.«
Er stieß einen Pfiff aus. »Machen Sie’s halb so schlimm!« rief er. »Auch Spesen haben eine Grenze.«
»Ich kann es nicht ändern«, entgegnete sie. »Seit dem Jelke-Prozeß sind Mädchen, die was können, schwer zu bekommen.«
»Na gut«, erklärte er nach kurzem Zögern. »Dann sage ich Ihnen jetzt, wo sie hinkommen sollen.«
Sie machte mit dem Bleistift einige Notizen und legte auf. Einen Augenblick wartete sie und wählte erneut eine Nummer. Diesmal meldete sich eine weibliche Stimme.
»Eine Verabredung zum Essen, Cissie«, sagte Maryann hastig. »Sag auch Esther und Millie Bescheid. Volles Programm.«
»Ich habe eine andere Verabredung«, erwiderte das Mädchen rasch. »Das bringe ich in Ordnung. Hier ist die Adresse«, sagte Maryann. Nach dem Gespräch zündete sie sich eine Zigarette an und griff erneut nach dem Hörer. Bevor sie ihn jedoch berührte, klingelte das Telefon. Sie nahm den Hörer ab. »Bitte?«
»Maryann?«
Die Stimme des Mannes war ihr vertraut. »Ja?«
»Frank«, sagte er.
»Wo fehlt’s?«
»Es handelt sich um das Mädchen im Roosevelt-Krankenhaus«, erklärte er. »Florence Reese. Dein Büro hat behauptet, sie hätte nicht für euch gearbeitet. Sie sagt das Gegenteil. Widersprüche in den Aussagen führen immer zu Unannehmlichkeiten. Hätte deine Angestellte es nicht geleugnet, dann hätte ich der ganzen Sache sofort die Spitze abbrechen können. Aber jetzt sind zu viele Leute neugierig geworden.«
»Was soll ich denn tun?« fragte sie.
»Ich weiß nicht.«
»Wie geht es Florence?«
»Sie liegt im Sterben«, sagte er leise.
»Das arme Ding«, seufzte sie. »Ich hatte ihr gesagt, sie soll die Finger davon lassen.«
»Um sie brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen«, fuhr er fort. »Dazu ist es jetzt zu spät. Du mußt dir etwas einfallen lassen.«
»Gut, Frank. Ich rufe Vito an. Er wird wissen, was zu tun ist.« Sie zog an ihrer Zigarette.
»Das wollen wir hoffen«, meinte Frank. »Ich bin mit einem Mann von der Staatsanwaltschaft hier, und er kocht vor Zorn. »Wer ist es denn?« fragte sie zerstreut.
»Keyes. Mike Keyes.«
Die Kehle schnürte sich ihr zusammen. »Mike Keyes?« wiederholte sie.
Er zögerte. »Ja. Ich hatte so das Gefühl, im Zusammenhang mit ihm gäbe es etwas, an das ich mich erinnern müßte! Früher war er bei der Polizei. Ist er nicht der Mann, den du einmal für eine Freundin ausfindig machen solltest?«
»Ich ... ich entsinne mich nicht«, stammelte sie. »Es ist so lange her.« Langsam legte sie den Hörer auf und starrte auf die Tür. Es war alles so lange her. Wie in einem anderen Leben.
13
Gegen vier Uhr nachmittags kam die Schwester aus dem
Krankensaal und trat zu Mike.
»Sie können ruhig in Ihr Büro zurückgehen, Mr. Keyes. Sie ist tot«, erklärte sie ungerührt.
Langsam erhob sich Mike. »So schnell geht das«, sagte er, und seine Stimme verriet seine Erschöpfung.
Sie nickte. »Sie hatte nicht die geringste Chance.« Zum erstenmal hörte er Mitgefühl in ihrer Stimme.
Er nahm seinen Hut vom Tisch. »Halten Sie die Leiche für eine Obduktion
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