Die Moralisten
Stock nach Jimmys Gesicht. Bevor er Jimmy noch treffen konnte, spürte er zwei Arme, die ihn umschlangen. Wütend wehrte er sich. »Laß mich los! Laß mich los!« schrie er. »Ich bringe ihn um.«
Aber die beiden Arme hielten ihn nur noch fester und zogen ihn zurück. »Nur ruhig, Ross«, sagte eine vertraute Stimme an seinem Ohr. »Du hast schon genug angerichtet.«
Die ruhige, sanfte Stimme wirkte auf ihn wie ein kühler Wasserstrahl. Ross fühlte, wie ihn die innere Verkrampfung verließ und die Vernunft wiederkehrte. Er stand ganz still und keuchte nach Atem. Schließlich gewann er die Herrschaft über sich zurück und konnte wieder reden. »Schon gut, Mike«, sagte er, ohne den Kopf zu wenden. »Du kannst mich loslassen. Es ist alles in Ordnung.«
Die starken Arme gaben ihn frei. Ross blickte nicht auf. Er wandte sich um und ging zur Tür. An der Kasse blieb er stehen und warf einen Schein hin. »Das wird für den Schaden reichen, den ich angerichtet habe.«
Der bleiche alte Mann, der dort saß, sagte kein Wort. Ross ging zur Tür hinaus, setzte sich in seinen Wagen und wartete. Einige Sekunden später hörte er Schritte auf seinen Wagen zukommen.
»Kannst du mich nach Hause fahren, Mike?« fragte er ohne aufzublicken. »Ich bin sehr müde.«
Die Tür auf der anderen Seite wurde geöffnet, und sein Freund stieg ein. Ein Streichholz flammte auf, und eine Sekunde später fühlte er, daß ihm eine Zigarette in die Hand geschoben wurde. Er tat einen tiefen Zug, lehnte seinen Kopf gegen das Polster zurück und schloß die Augen.
»Ein Glück, daß ich gerade vorbeikam«, hörte er seinen Freund sagen. »Ich hatte so ein Gefühl, ich sollte mich nach dir umsehen.« Mike beugte sich vor und startete den Motor. Er ließ ihn einen Augenblick auf vollen Touren laufen. »Was ist eigentlich los gewesen? Wenn ich dich nicht festgehalten hätte, hättest du ihn umgebracht.«
»Da war dieses Mädchen, das wir heute mit Francie trafen ...« begann Ross zu erklären.
»Die Blonde, die du dir angelacht hast?« unterbrach ihn Mike. »Ja«, antwortete Ross. »Sie .«
Wieder unterbrach ihn Mike. In seiner Stimme lag ein tadelnder Unterton. »Ich hätte dir mehr Vernunft zugetraut, Ross.« Ross wandte den Kopf. »Was willst du damit sagen?«
Mike riß ein Streichholz an und hielt es an seine Zigarette. Die Flamme weckte goldene Lichtpunkte in seinen Augen. »Ich kann dich überhaupt nicht verstehen, Ross. Es gibt kein Mädchen, das es wert wäre, daß man sich seinetwegen in Unannehmlichkeiten stürzte.«
Ross starrte seinen Freund an. Mike hatte in einem recht - er verstand nicht. Ross schloß die Augen und lehnte sich auf seinen Sitz zurück. Er fühlte den Wagen anfahren.
Mike fuhr vorsichtig und konzentrierte sich auf die Straße. Aber Mike tat ja alles sehr vorsichtig. Das war der Haken bei Mike. Er ging keine Risiken ein. Nicht, daß er etwa Angst hatte, aber es war nun einmal seine Natur.
Mike verstand nicht. Wie sollte er auch? Er kannte Marja nicht.
Sie hörte das schwache Schreien des Babys, als sie die Treppe hinaufging. Je näher sie der Wohnung kam, desto lauter wurde es. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie die Tür öffnete.
Sie mußte blinzeln, als das scheußliche grelle Licht ihre Augen traf. Das Schreien des Babys klang scharf in ihren Ohren. Rasch betrat sie das Zimmer und schloß die Tür hinter sich. In dem Gang zu ihrer Linken hörte sie Schritte. Sie wandte sich ihnen zu. Da stand ihr Stiefvater; seine Hosen hingen ihm locker um die breiten Hüften. Er trug nur ein Unterhemd, das sich weiß gegen das störrische schwarze Haar abhob, das seine Brust bedeckte. Er sagte kein Wort, aber seine kohlschwarzen Augen starrten sie bösartig an.
»Warum weint er?« fragte sie und machte mit der Hand ein Zeichen zum Schlafzimmer hin.
»Wo bist du gewesen?« entgegnete er, ohne ihre Frage zu beachten. Sie ging auf das Schlafzimmer zu. »Schwimmen«, antwortete sie von oben herab.
»Bis halb elf Uhr nachts?« fragte er und warf einen Blick auf die Küchenuhr.
»Es ist ein langer Weg zurück von Coney Island«, erwiderte sie und öffnete die Schlafzimmertür.
Seine Hand packte ihren Arm und drehte sie herum. Sie sah ihn mit kalten, abweisenden Augen an.
»Warum bist du nicht heraufgekommen und hast es deiner Mutter gesagt?« fuhr er sie wütend an. »Sie hat sich Sorgen um dich gemacht. Du weißt ganz genau, daß sie sich nicht gut fühlt.«
»Es würde ihr weit besser gehen, wenn du dir eine
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