Die Moralisten
schimmerte, straff nach hinten gezogen und im
Nacken mit einem kleinen Band zusammengebunden. Regungslos saß sie ihm gegenüber und sagte noch immer nichts.
»Was ist?« fragte er gereizt. »Hast du die Sprache verloren?«
»Ich bin mit dir hergekommen«, antwortete sie ruhig. »Also wollte ich auch mit dir wieder zurückgehen.«
Bösartig sagte er: »Hast du etwa geglaubt, ich würde dich nach dem, was geschehen ist, wieder zurückbringen? Daß ich noch Lust dazu hätte?«
Sie beobachtete ihn schweigend, und die Pupillen ihrer Augen wurden groß und dunkel, so daß die Iris fast zu verschwinden schien. Das war das Seltsamste an ihr: ihre Augen schienen immer etwas auszusprechen, und dennoch vermochte er niemals zu verstehen, was sie sagten.
»Hast du das wirklich geglaubt?« fragte er noch einmal. »Antworte!« Sie atmete tief ein und erhob sich schweigend. Sie kehrte zum Stuhl in der Ecke zurück, nahm ihre kleine Handtasche und ging zur Tür. Sie sah ihn dabei nicht an.
Er wartete, bis ihre Hand die Türfalle berührte, bevor er weitersprach. »Marja!«
Sie blieb stehen und blickte ihn schweigend an.
»Wohin gehst du?« fragte er, obwohl diese Frage überflüssig war. »Nach Hause«, antwortete sie mit ausdrucksloser Stimme. »Du bist doch jetzt wieder in Ordnung.«
»Hast du Geld für ein Taxi?«
»Ich komme schon zurecht«, erklärte sie mit der gleichen tonlosen Stimme.
Seine Hand stieß rasch vor und entriß ihr die kleine Handtasche. »Wo hast du Geld her?« fragte er schroff. »Francie hat gesagt, keine von euch hätte auch nur einen Cent bei sich.«
Sie antwortete ihm nicht, auch der Ausdruck ihres Gesichts veränderte sich nicht.
Er öffnete die Handtasche und sah hinein. Bis auf einen Lippenstift, zwei zerdrückte Zigaretten, einen Kamm und einige Streichhölzer war sie leer.
»Deine Brieftasche liegt unter deinem Kissen«, sagte sie ruhig. »Ich habe sie dorthin gelegt.«
Instinktiv griff er danach und öffnete sie. Die Scheine waren noch immer da. Jetzt schämte er sich seines Argwohns. »Kann ich meine Handtasche zurückhaben?« fragte sie. »Ich möchte gehen. Es ist schon spät.«
Er blickte zu ihr auf, dann in die leere Handtasche. Er nahm einen 10-Dollar-Schein aus seiner Brieftasche und steckte ihn in ihre Handtasche. »Nimm dir ein Taxi«, sagte er und gab ihr die Tasche zurück.
Der Schein flatterte auf das Bett. »Nein, danke«, erklärte sie abweisend. »Von dir will ich nichts haben.« Die Tür schloß sich hinter ihr.
Überrascht blieb er einen Augenblick sitzen, dann sprang er aus dem Bett. In letzter Sekunde wurde ihm bewußt, daß die anderen ihm die nasse Badehose ausgezogen hatten. Er warf sich die Bettdecke über, um seine Nacktheit zu verdecken, und lief ihr nach. »Marja!« rief er. »Marja! Warte einen Augenblick!« Er stolperte über die schleifende Decke und griff nach dem Geländer, um nicht die Treppe hinabzustürzen.
Sie war bereits unten im Flur angelangt, als sie sich umwandte und zu ihm hinaufblickte. Sie starrte ihn einen Augenblick an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus.
Er wurde wütend. »Was zum Teufel gibt’s denn zu lachen?« brüllte er.
Sie konnte nicht aufhören. »Du müßtest dich mal sehen, Ross«, keuchte sie und deutete mit dem Finger auf ihn. »Du siehst aus wie ein Gespenst!«
Er drehte sich zu dem großen Spiegel in seiner Nähe um. Mit seinem blassen Gesicht und dem zerzausten Haar über der weißen Bettdecke sah er tatsächlich wie ein Gespenst aus. Er lachte selbst laut auf und wandte sich ihr wieder zu.
»Warte, bis ich mich angezogen habe, Marja. Ich bringe dich nach Hause.«
»Halt hier an und laß mich aussteigen«, bat sie, als sie in der Nähe ihres Hauses waren. »Vielleicht sitzt mein Stiefvater am Fenster.« Schweigend fuhr er an den Rinnstein heran. Er stieg aus dem Wagen, ging steif um ihn herum und öffnete die Tür. Er hielt ihre Hand, als
sie ausstieg.
Sie blieben einen Augenblick verlegen stehen. Dann streckte sie ihm die Hand hin. »Ich danke dir für den schönen Nachmittag, Ross«, sagte sie höflich.
Er suchte in ihren Augen nach einer Spur von Spott, konnte aber nichts entdecken. Er ergriff ihre Hand. »Sehe ich dich wieder, Marja?« fragte er.
Ihre Hand lag still in der seinen. »Wenn du willst«, antwortete sie.
Er stellte seinen Fuß auf das Trittbrett. Die Bewegung schmerzte so sehr, daß er zusammenzuckte. »Ich will, Marja«, sagte er.
Sie bemerkte den Ausdruck jähen Schmerzes in
Weitere Kostenlose Bücher