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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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heraus. Sie legte die Decke darüber und schlug sie an den Seiten ein.
    Vom Kinderbett her hörte sie einen leisen Laut. Die Windeln des Kleinen waren naß. Rasch wechselte sie sie und füllte eine kleine Flasche mit Wasser, die sie in die Nähe seines Mundes legte. Dann kehrte sie zum Bett zurück und holte das Messer unter der Matratze hervor.
    Wie benommen schritt sie durch die Küche auf das Zimmer ihres Stiefvaters zu. Leise öffnete sie die Tür und blickte hinein. Verschwommen erkannte sie seine Gestalt, er mußte quer auf dem Bett liegen. Sie zog an der Lichtschnur, und das Licht durchflutete den Raum. Er rührte sich nicht.
    Er lag schweratmend auf dem Rücken, die Decke um sich herumgezogen.
    Sie hielt die Messerspitze dicht vor sein Gesicht. »Peter, wach auf«, rief sie ruhig.
    Er schlief weiter.
    Mit einer Hand schlug sie ihm heftig ins Gesicht. »Wach auf!«
    Fast sofort schlug er die Augen auf. Zunächst blieb er völlig still liegen. Dann sah er das Messer, und Entsetzen erwachte in seinen Augen. »Marja, was tust du?« »Ich bin da, um ein Versprechen einzulösen, Peter!« Ihre Stimme war gepreßt und sehr leise. »Erinnerst du dich an das, was ich dir einmal gesagt habe?«
    Er starrte zu ihr auf, vor Angst unfähig, sich zu rühren. »Du bist verrückt!« keuchte er.
    »Nicht verrückter als du.« Sie lächelte. Das Messer wischte jäh über sein Gesicht hinweg.
    Das Fleisch klaffte auf wie eine reife Melone, die in der Sonnenglut platzt. Blut quoll hervor und füllte die Wunde, die schräg über sein Gesicht verlief. Er schrie vor Schmerz auf und sprang vom Bett zur Tür. Die Decke schleifte auf dem Boden hinter ihm her.
    Er lief schreiend durch die Wohnung auf den Hausflur hinaus. Durch die offene Tür sah er, wie sie ihm langsam folgte. Er rannte die Treppe hinunter. Dabei stolperte er über seine Decke und fiel ein paar Stufen bis zum nächsten Absatz hinunter.
    Sie war oben an der Treppe stehen geblieben und sah ihm nach. Noch immer schrie er. Sie schloß die Augen. Es war noch nicht lange her, seit ihre Mutter dort gelegen hatte. Sie wandte sich um und kehrte in die Wohnung zurück.
    Sie schlug die Tür hinter sich zu, trat an den Abwaschtisch und wusch das Messer sorgfältig ab. Dann legte sie es auf den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl mit dem Blick zur Tür. Es war der gleiche Stuhl, auf dem ihre Mutter immer gesessen hatte, wenn sie auf ihre Rückkehr wartete.
    Ihre Augen brannten. Sie fühlte sich müde, sehr müde. Die Augenlider fielen ihr zu.
    Heftiges Klopfen weckte sie. In ihren Augen schimmerten noch immer Tränen. »Herein«, sagte sie ruhig.
    So traf die Polizei sie an.

21
    »Du mußt aber doch einen Grund gehabt haben, um so etwas zu tun, Marja«, fragte die Fürsorgerin erneut.
    Marja schüttelte eigensinnig den Kopf. Sie war nicht zum Reden zu bringen.
    »Du willst doch nicht in eine Strafanstalt geschickt werden, oder?« fuhr die Frau fort.
    Marja zuckte die Achseln. »Was ich auch sage, man wird mich nicht freilassen. Man steckt mich auf jeden Fall irgendwo hinein.«
    »Aber es ist ein großer Unterschied zwischen einer Strafanstalt und einem staatlichen Heim«, erklärte die Frau. Marjas Augen weiteten sich. »Für mich nicht. Das eine ist so schlimm wie das andere.«
    Die Frau stieß einen tiefen Seufzer aus. »Möchtest du denn nicht wieder mit deinem kleinen Bruder zusammen sein?«
    Marja streifte sie mit einem raschen Blick. »Würde man mich denn bei ihm bleiben lassen, wenn ich rede?«
    Bedauernd schüttelte die Frau den Kopf. »Nein, das wäre nicht möglich. Dazu bist du zu jung. Aber ...«
    »Dann ist doch alles gleichgültig, finden Sie nicht?« fragte Marja.
    Die Frau antwortete ihr nicht.
    Marja erhob sich. »Kommen Sie, bringen wir es hinter uns.«
    Der Gerichtssaal war fast leer. Nur wenige Zuschauer saßen auf den Bänken gleich hinter der Schranke. Marja streifte sie im Vorbeigehen mit einem gleichgültigen Blick. Sie sahen sie neugierig, aber unpersönlich an. Sie bedeutete ihnen nichts. Eine Hand streckte sich aus und berührte ihren Arm, als sie vorbeiging. »Hallo, Marja.« Überrascht blickte sie auf.
    Es war Mike. Ein freundliches, ermutigendes Lächeln lag um seine Lippen. »Ich habe versucht, dich zu sprechen«, raunte er ihr hastig zu, »aber man hat mich nicht zu dir gelassen.«
    Ihr Gesicht verhärtete sich zu einer stumpfen, gleichgültigen Maske. Es war nutzlos, ihm zu erzählen, daß sie darum gebeten hatte, niemanden zu ihr zu lassen. Sie

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